Interview mit Christoph W. Bauer

Christoph W. Bauer präsentierte in der Buchhandlung Haymon in Innsbruck sein neuestes Buch der Öffentlichkeit und bewies, dass Literatur die Menschen bewegt. Die Buchhandlung war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Der Tiroler Autor erobert mit seinem Erzählband In einer Bar unter dem Meer neues Terrain. In neunzehn Erzählungen lässt er Menschen an einen Wendepunkt ihres Lebens kommen und kurz aus dem Alltäglichen ausscheren. Die Geschichten sind sehr lesenswert und schlagen einen neuartigen Ton an, auch mangelt es nicht an skurrilen Einfällen und überraschenden Pointen.

Dorothea Zanon, Lektorin bei Haymon, wo Christoph W. Bauer seit seinem literarischen Debüt 1999 die meisten seiner Bücher herausbrachte, ging in einem Autorengespräch zunächst auf die Gattung der Erzählung ein. Lesen Sie im Folgenden das Interview im Rahmen der Buchpräsentation:


Christoph W. Bauer mit seiner Lektorin Dorothea Zanon

Dorothea Zanon: Was ist der besondere Reiz der Gattung Erzählung für dich, und was ermöglicht sie dir als Autor, was du in der Lyrik und in Romanen vielleicht nicht in der Form machen kannst?

Christoph W. Bauer: Für eine Erzählung gilt, was auch für die Lyrik zutreffend ist: sie ist ein Stück Leben. Letzteres mit einem Mindestmaß an Handlung zur Sprache zu bringen, war für mich sehr reizvoll. Das Leben ist voll Plötzlichkeit, voll mit überraschenden Wendungen, diese Wendepunkte in einer Erzählung anzureißen, ohne sie hernach zu kommentieren, das war es, was mich angetrieben hat. Was die Figuren miteinander verbindet: Sie geraten kurz aus der Bahn, wobei dieses Aus-der-Bahn-Geraten in der Gesellschaft immer einen negativen Beigeschmack hat. Müsste eigentlich nicht sein, oder? Jedenfalls geraten meine Figuren aus der Bahn, ob sie wieder auf diese zurückfinden, lasse ich völlig offen. Ein Roman folgt anderen Gesetzen, braucht einen Bauplan, chronologische Handlungselemente, die sich im Idealfall zu einem Ganzen verdichten.

Dorothea Zanon: Wie entstehen diese Figuren?

Christoph W. Bauer: Es gibt im Erzählband einen programmatischen Text, der diese Frage beantworten könnte. Die Figuren meiner Erzählungen entstehen plötzlich, sie können sich aus einem Satz entwickeln, aus einer Beobachtung bei einer Zugfahrt zum Beispiel, aus einem Gespräch an der Bar, aber auch aus einer Liedzeile – oder aus einem Plattencover. Es gibt von The Clash das Album London Calling, als mir das Plattencover unterkam, war da unversehens eine Figur, die sich eine Gitarre schnappt und sie auf dem Boden zertrümmert.

Dorothea Zanon: Die Form der Erzählung, d.h. ihre Kürze, erlaubt dir ja im Grunde nur, die Figuren, deren Charaktere anzureißen. Im Roman hat man, wenn man will, mehrere hundert Seiten, um eine Figur zu entwickeln. Wie ist es möglich, Persönlichkeiten in so wenigen Zeilen plastisch werden zu lassen?

Christoph W. Bauer: Ich habe es hier mit Tschechov gehalten, ich wollte den Seelenzustand einer Figur nicht beschreiben, der Seelenzustand sollte aus dem Handeln der Figur hervorgehen. Keine langen Vorgeschichten, Figur X betritt den Raum – und ist da. Dann stupse ich Figur X an, sie reagiert darauf mit einer bestimmten Geste oder mit einem für die Figur charakteristischen Wort, sie bewegt sich, und aus dieser Bewegung entsteht – so hoffe ich – die von dir genannte Plastizität. Auch handelt es sich bei den Figuren um solche, die wir alle aus unserem Umfeld kennen, die uns vielleicht ähnlicher sind, als wir es auf den ersten Blick annehmen. 


Lesung und Autorengespräch in der Buchhandlung Haymon

Dorothea Zanon: Was ich sehr spannend finde: du baust ein ganzes Beziehungsgeflecht in deinem neuen Buch, d.h. die Erzählungen sind alle miteinander verlinkt, zB über Personen, die öfters auftreten oder die miteinander zu tun haben, verwandt sind etc. War das geplant oder ist das eher organisch gewachsen? Das Schöne ist ja, muss man dazu sagen, die Erzählungen funktionieren einzeln genauso wie als ein Teil dieses Gefüges.

Christoph W. Bauer: Die Erzählungen müssen als Einzelne funktionieren, sonst hätte ich was falsch gemacht. Und ja, einige Figuren oder Gegenstände, ein Fahrrad zum Beispiel, tauchen immer wieder auf. Das gehörte dann schon zur Konzeption des Erzählbands, wobei das Ganze nicht vordergründig sein sollte. Der Reiz liegt nicht darin, die Figur aus einer anderen Erzählung sofort wiederzuerkennen, sondern sich zu fragen: Ist das nicht die oder der aus der anderen Erzählung? Und das wiederum gehört zu meinem Erzählansatz: ein Stück Leben zur Sprache zu bringen, eine Wirklichkeit. Dass dieses Leben aber immer in einem Geflecht anderer Leben stattfindet und stattfinden muss, wird deutlich.    

Dorothea Zanon: Noch eine Frage, die vom Inhalt der Erzählungen direkt in deine reale Schreibumgebung führt: Die Musik spielt in vielen Erzählungen eine Rolle, oft einzelne Lieder. Ich weiß, dass du beim Schreiben eigentlich immer Musik hörst – fließt der Ton der realen Musik in den Ton der Erzählungen mit ein?

Christoph W. Bauer: Musik spielt eine zentrale Rolle, jede Erzählung hat ihr eigenes Lied oder Musikstück, das ich während der Arbeit an einem Text in Dauerschleife höre. Das kann sich über Tage, mitunter Wochen ziehen. Für mich ist das wichtig, es fördert meine Konzentration. Und auch wenn ich die Musik beim Schreiben kaum noch wahrnehme, sie schafft einen Rahmen, der nur für diese Erzählung gilt. So fließt der Ton der realen Musik zwangsläufig in den der Erzählungen ein.


Signierstunde mit Christoph W. Bauer

 

 
 
 
 
 
 
 
 
Christoph W. Bauer: In einer Bar unter dem Meer 
Erzählungen 
ISBN 978-3-7099-7088-1
232 Seiten, 125 x 205 mm 
gebunden mit Schutzumschlag
EUR 19,90

 

 

Link: Netzauftritt Christoph W. Bauer

Fotos: Reinhold Embacher

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