Hannes Köhler, In Spuren

Seit Paracelsus wissen wir, dass alles eine Frage der Dosis ist. Hannes Köhler geht in seinem Roman „In Spuren“ der Frage nach, ab welcher Dosis eine Persönlichkeit entsteht beziehungsweise verschwindet.

Zu diesem Zweck gibt es eine interessante Versuchsanordnung im studentischen Milieu. Eine Kneipengruppe erzählt sich mehr oder weniger gelungene Witze und huldigt einem aktuellen Lebensprogramm:

Wir sind Kneipenphilosophen, unsere nächtlichen Gedanken über Dinge, die man anders machen sollte, nichts als Sprechblasen. (42)

Mitten in einer Kneipen-Session steht Felix auf und verschwindet. Der Ich-Erzähler Jakob und seine Crew denken an einen Scherz, an ein Unglück, schließlich an einen überirdischen Vorgang. Jakob und die gemeinsame Freundin durchstöbern die Wohnung des Verschwundenen, knacken den Laptop und lesen in einem fetten Tagebuch.

Mit diesen Quellen entsteht allmählich ein neuer Felix, der oft nur in geringen Spuren nachweisbar ist. Der Mensch erschafft sich quasi neu, indem er autobiographische Quellen über sich anlegt. Zum anderen ist es eine verdammt harte Angelegenheit, wenn die Nachfahren über sich selbst in diesen Tagbüchern lesen.

Zwischendurch kommen wirre Postkarten aus Frankreich an die Hinterbliebenen, Felix hat offensichtlich sein Verschwinden theatralisch inszeniert. „Ich bewahre dünne Scheiben eurer Existenz“, heißt es über alles, was sich auf CD speichern lässt.

Wer pragmatisch verschwinden will, muss seine Existenz Verschwindens-tauglich aufbauen. Felix legt offensichtlich alles so aus, dass es auch dekonstruiert und zum Verschwinden gebracht werden kann.

So entsteht anhand suchender und verschwundener Helden-Typen ein Bild einer ganzen Generation, die sich beileibe noch nicht erfunden, geschweige denn gefunden hat.

„Kein Ziel, nur eine Richtung, in den Beinen, nicht im Kopf.“ (142)

Letztlich führen die Spuren der Anti-Biographie völlig romantisch ins Meer, andererseits nehmen die ehemaligen Studenten und Kneipenphilosophen handfeste Berufe an. Nicht Felix ist es, der verschwunden ist, eine ganze Lebensform einer biographischen Zwischenstation löst sich auf.

Hannes Köhler beschreibt sehr einfühlsam und abtastend eine Generation, bei der zwischen Innensicht und Außenbild beileibe keine Übereinstimmung herrscht. Ein Bild kann mitten in der Idylle zusammenbrechen, ein anderes sich in Romantik oder Luft auflösen. Auch die Umgangsformen sind spröde, introvertiert und dann wieder grausam. Der Erzähler und seine Freundin legen beispielsweise eine Sexnummer hin, bei der er sich irgendwie abmüht, während sie in einem Buch weiterliest. „Das war gar nichts, nicht einmal ficken war das.“ (84) – Vieles, was diese modernen Helden so treiben, tun sie nur in Spuren.

Hannes Köhler, In Spuren. Roman.
Hamburg: mairisch verlag 2011. 227 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-938539-18-7.

 

Weiterführende Links:
Mairisch-Verlag: Hannes Köhler, In Spuren
Homepage: Hannes Köhler

 

Helmuth Schönauer 24/01/12

Bibliographie

AutorIn

Hannes Köhler

Buchtitel

In Spuren

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Mairisch Verlag

Seitenzahl

227

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-938539-18-7

Kurzbiographie AutorIn

Hannes Köhler, geb. 1982 in Hamburg, lebt seit 2001 in Berlin. 2011 war er Stadtschreiber in Kitzbühel.

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