Jürgen-Thomas Ernst, Levada

Manchmal müssen in der Literatur die Figuren durch die Hölle und versuchen dabei den Leser in den Strudel ihres Schicksals zu ziehen.

Jürgen-Thomas Ernst lässt in seiner Erzählung „Levada“ den Überlebenden einer Höllen-Ehe darüber räsonieren, wie ein Zusammenleben zwar ständig an der Kippe steht, aber wie in einer geheimen Mission über die Bühne und durch das Leben gebracht werden muss.

Bei einer mäßigen Fleischstrudelsuppe am Grundlsee hat sich einst das Paar kennengelernt, schon die erste Begegnung ist gekennzeichnet von aufbrausendem Misstrauen. Als es nämlich auf dem Boot zu regnen beginnt, sitzt die Frau auf einem Schließfach, worin der Regenschutz verstaut ist. Erst als beide richtig durchnässt sind, findet sich die Schutzkleidung in einem zweiten Schließfach.

Dieser läppische Start, bei dem Irritation, Hilflosigkeit und gegenseitige Schuldzuweisung elegant ausbrechen, kettet die beiden aber aneinander, sie ziehen zusammen und dann durch die halbe Welt. Als sie nämlich zum fünfunddreißigsten Mal am Grundlsee sind und vom Bürgermeister geehrt werden, reicht es ihnen. Sie flüchten und finden im Schweizerischen Flüeli Ranft ein Refugium, das sie für den gemeinsamen Suizid nutzen wollen.

Aber das Wetter ist meist zu schön, um von der hohen Brücke zu springen, sodass es nichts mit der Erlösung von einander wird. Dabei haben sich die beiden schon ausgemalt, wie die Todes-Schlagzeilen in den Vorarlberger Nachrichten lauten könnten. Auf einer späten Reise nach Madeira jedoch haut sich der Wir-Erzähler in einem dieser Levada-Tunnels ordentlich die Birne an, ehe dann seine Frau endlich verunglückt.

Der Erzähler muss die letzten Jahre mit sich alleine auskommen. „Ich blieb übrig“, sagt er lapidar zum dreiundachtzigsten Geburtstag, während er die Todesanzeigen in den Vorarlberger Nachrichten liest und feststellt: „Mein Jahrgang ist bestens vertreten.“ (121)

Am Schluss findet der Todeskandidat zur Lektüre von Schnitzlers Weg ins Freie. Erlösung ist angesagt.

Levada ist eine ironisch-kaltschnäuzige Erzählung in einem unmissverständlichen Protokoll-Ton, worin die Welt in ruppigen Erzählschlägen aus dem Stein der Wirklichkeit gehauen wird. Der psychische Zustand der beiden Figuren erinnert an das verrückte Brüder-Paar in Thomas Bernhards Amras. Auch in Levada gelingt es ums Verrecken nicht, diese Selbstfesselung aufzulösen. Die Ereignisse strotzen geradezu von geadelter Banalität, ob es sich nun um falsches Essen oder falsches Wetter handelt, immer werden die Figuren von Miesepetrigkeit bedroht, wenn sie nicht ohnehin schon im Streit liegen.

Als Leser bleibt man an diesen Figuren kleben, weil man es nicht fassen kann, dass diese Typen so auf einander eingeschworen sind. Und Erlösung bietet wirklich nur der Tod, selten in einer Erzählung ist das so klar ausgearbeitet. – Eine verrückt witzige, skurrile, letale Ehegeschichte.

Jürgen-Thomas Ernst, Levada. Erzählung.
Innsbruck: Limbus 2012. 129 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-902534-62-0.

 

Weiterführende Links:
Limbus-Verlag: Jürgen-Thomas Ernst, Levada
Wikipedia: Jürgen Thomas Ernst

 

Helmuth Schönauer, 19-09-2012

Bibliographie

AutorIn

Jürgen-Thomas Ernst

Buchtitel

Levada

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Limbus-Verlag

Seitenzahl

129

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-902534-62-0

Kurzbiographie AutorIn

Jürgen-Thomas Ernst, geb. 1966 in Lustenau, lebt in Bregenz.

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