Klaus Merz, Brandmale des Glücks

In der Innsbrucker Buchhandlung Haymon sind es zwei jähe Erscheinungen, die das Herz des Besuchers jeweils kurz anhalten, ehe es gut getaktet weiterschlagen darf.

Zum einen ist es die Architektur einer Blackbox, die den Kunden gleich in einen anderen Zustand beamt, und zum zweiten ist es das großflächige Angebot an Werk- und Gesamtausgaben. Luftig aufgestellt liegen diese bunten Quader in den oberen Regalen und verheißen nichts anderes als vollkommene und vollständige Literatur.

Die Werkausgabe ist letztlich nichts anderes als eine Werbemaßnahme, denn wer liest schon wirklich eine Box als Gesamtes, es sei denn, er ist zufällig der Herausgeber dieser Box. Und auch die Lektüre verändert sich mit dem Werk. Es macht einen Unterschied für die Leseabsicht, ob ich Kafkas Schloss lese, weil es mit meiner Lebenskonstitution in Zusammenhang steht, oder das Schloss aus dem schwarzen Würfel ziehe, weil ich endlich den aufgehäuften Kafka-Vorrat abarbeiten muss.

Klaus Merz ist nun das Glück einer Werkausgabe zuteil geworden, es sei ihm gegönnt, dass er sich selbst noch zu Lebzeiten als Textwürfel sehen kann. Im Band sechs ist die Prosa 1996-2014 vereint mit den Kurzromanen Jakob schläft, Adams Kostüm, Los oder Der Argentinier. Und hier wird das Dilemma einer Werkausgabe sichtbar. Die Prosa von Klaus Merz hat nämlich als fundamentale Eigenschaft das Unauffällige, Nebenseitige, am Rand Angesiedelte zu sein, das vom Leser aufgeklaubt und für wichtig gehalten wird. Hier ist Klaus Merz ganz Nachfahre von Robert Walser, bei dem man ja auch einen ganzen Garten zusammen rechen muss, bis man auf das entscheidende Blatt stößt.

In der Werkausgabe verkommen diese kleinen Erzählungen, die sich in den Erstausgaben augenzwinkernd als Romane aufgeplustert haben, zu einer Texthalde, die industriell abgelesen werden muss. Was im Original eine liebliche Verstörung gewesen ist, wird zu einer Masche, wenn man die einzelnen Romane ablaufen sieht wie Haltestellen einer aufgelassenen Strecke.

Durch den gezwungenermaßen aufgeklebten Titel Brandmale des Glücks wird scheinbar ein Grundtenor der Texte ausgerufen, die einzelnen Romane verlieren ihre Festigkeit in der jeweiligen Erscheinungsgegenwart.

Letztlich sind Werkausgaben ein kapitalistischer Vorgang, es wird aus den bereits abgerechneten Texten noch einmal eine Rendite herausgepresst, indem man von Zeitlosigkeit, Vollständigkeit und germanistischer Werktreue spricht. Genau das sind die Werk von Klaus Merz aber nicht. Sie sind jeweils Kleinodien, Abschweifungen, emsige Entgleisungen eines schreibenden Kindes, das sich in der Vielschreiber-Welt der Erwachsenen bewähren will, indem es sich als Fußnote verkleidet.

Wer sich durch den Brei der Voraus-Überlegungen durchgefressen hat, kann sich immer noch satt lesen an „Jakob schläft“, worin der Bruder mit Wasserkopf als Sonne bezeichnet wird, um die die Welt kreist, an „Adams Kostüm“, worin die Kleider tatsächlich das Leben verändern, indem sie abgelegt werden, an „Los“, worin der Bergsteiger sein Leben und die Berge los wird, oder am „Argentinier“, wo der abenteuernde Großvater nach Europa zurückkehrt und für einen Gaucho gehalten wird.

Klaus Merz, Brandmale des Glücks. Prosa 1996-2014. Werkausgabe Band 6. Herausgegeben von Markus Bundi.
Innsbruck: Haymon 2014. 261 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-85218-659-7

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Klaus Merz, Brandmale des Glücks
Wikipedia: Klaus Merz

 

Helmuth Schönauer, 09-12-2014

Bibliographie

AutorIn

Klaus Merz

Buchtitel

Brandmale des Glücks. Prosa 1996-2014

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Haymon Verlag

Herausgeber

Markus Bundi

Reihe

Werkausgabe Band 6

Seitenzahl

261

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-3-85218-659-7

Kurzbiographie AutorIn

Klaus Merz, geb. 1945 in Aarau, lebt in Unterkulm.<br />Markus Bundi, geb. 1969 in Wettingen, lebt in Baden / Schweiz.