Lydia Davis, Das Ende der Geschichte

Die ideale Geschichte bringt sich während des Erzählens selbst zum Verschwinden.

Lydia Davis verwendet ihren Roman vom „Ende der Geschichte“ dazu, Konstellationen aufzuzeigen, Ereignisse beim Verblassen zu beobachten und eine Geschichte ohne Geschichte zu erzählen.

Das Ende der Geschichte braucht eine Zeremonie. Als die Ich-Erzählerin in einer Buchhandlung eine Tasse bitteren Tees serviert bekommt, löst diese Zeremonie das Ende einer Geschichte aus, aber erst zweihundert Seiten später bemerkt dies die Erzählerin.

Der Roman handelt von einem Mann der verlorengegangen ist, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. (14)

Das Verschwinden dieses Mannes, der vielleicht ein Schriftsteller gewesen ist, ist die konkreteste Spur in diesem Roman voller Rätsel, die sich selbst lösen und auflösen.

In einem gigantischen Feldversuch der Gefühle, versucht die Erzählerin einen Roman zu schreiben, dabei Erinnerungen an eine Beziehung zu verarbeiten und gleichzeitig ein reales Überleben zu führen. Schlaflosigkeiten können dabei eine literarische Komposition sein oder auch ein echter Zustand der Schreiberin. Das Überleben durch Übersetzungen kann eine Romanhafte Notwendigkeit sein oder aber auch der Traum davon, mit genügend Geld aus Übersetzungen über die Runden zu kommen.

Ständig wechseln Szenen der Erinnerung mit jenen der aktuellen Schreibsituation. Zwei Figuren ermöglichen dabei eine Spiegelung des inneren Monologs der durchgehenden Erinnerung. Einmal ist es eine Mitbewohnerin Madeleine, die während eines Arbeitsstipendiums Schreibgenossin der Autorin wird, zum anderen ist es der Ehemann Vincent, der offensichtlich alle Bekanntschaften überdauert hat und als zeitloser Partner am anderen Rand jedweder Beziehungsfläche steht.

Ortsangaben und Landschaftsbeschreibungen sind vage verdünnt wie in einem psychisch stimulierten Gelände. Begriffe wie Osten, Hügel, Stadt, hinauf, hinunter, Küste grenzen das Feld der Wahrnehmung ein.

Das Hauptproblem besteht darin, die richtigen Sachen für den Roman und wohl auch für das Leben auszuwählen. Eine Hilfe dafür sind vier Zettelkästen, die sich aber im Inhalt, nämlich Material, kaum voneinander unterscheiden.

Und immer wieder ist es dieser verschwundene Mann und die damit verschwundene Beziehung, die ein Stück Erinnerung jäh abbrechen lässt.

Was hatte diese Langeweile damals zu bedeuten? Dass ich mit ihm zusammen nichts mehr erleben würde. (145)

Wenn die richtigen Teile in den Roman kommen, wird es dann der richtige Roman? Was aber sind die richtigen Teile?

Lydia Davis erzählt und löst auf, stellt Gedanken vor und zaubert sie weg und sucht das Ende der Geschichte, das eigentlich schon auf den ersten Seiten feststeht.

„Das schien das Ende der Geschichte zu sein, und eine Zeit lang war es auch das Ende des Romans – die bittere Tasse Tee hatte so etwas Endgültiges.“ (13)

Ein großartiges Rätsel über die Kunst des Schreibens und die Erlösung beim Lesen.

Lydia Davis, Das Ende der Geschichte. Roman. A. d. Amerikan. von Klaus Hoffer. [Orig.: The end oft the story, New York 1995].
Graz: Droschl 2009. 255 Seiten. EUR 21,-. ISBN 978-3-85420-761-0.

 

Weiterführende Links:
Droschl-Verlag: Lydia Davis, Das Ende der Geschichte
Wikipedia: Lydia Davis (engl.)

 

Helmuth Schönauer, 09-02-2012

Bibliographie

AutorIn

Lydia Davis

Buchtitel

Das Ende der Geschichte

Originaltitel

The end oft the story

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Droschl-Verlag

Übersetzung

Klaus Hoffer

Seitenzahl

255

Preis in EUR

21,-

ISBN

978-3-85420-761-0

Kurzbiographie AutorIn

Lydia Davis, geb. 1947 in Massachusetts, lebt in der Nähe von New York.

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