Max Frisch, Aus dem Berliner Journal

In witzigen Gesprächen wird die Bedeutung eines Dichters gerne in G gemessen, G ist die Einheit für Germanisten. Wenn jemand drei Germanisten beschäftigt, hat seine Literatur die Schwerkraft von drei G.

Ungefähr in solchen Witzeinheiten fängt man zu sinnieren an, wenn man Max Frischs Ausriss aus dem Berliner Journal liest. Eine Handvoll Germanisten hat jetzt das pure Nichts ediert, das Max Frisch in den Jahren 1973 und 1974 hinterlassen hat.

In einem pompösen Anhang wird germanistisch korrekt jeder Strichpunkt beschrieben, wie er auf welche Seite zu liegen gekommen ist. Und auch die Editionsgeschichte wird zu einem Blasen-Krimi ausgebaut, Max Frisch hat in seiner Eitelkeit, unsterblich zu sein, ein paar Heftchen in einen Schweizer Bank-Tresor gesperrt und versiegelt, und zwanzig Jahre nach seinem Tod durften 2011 alle antreten und in voller Erektion bemerken, dass die Hefte dünn und nichtssagend sind.

In diesem Berliner Journal, aus dem aus Persönlichkeitsschutz Noch-Lebender so allerhand herausgestrichen ist, geht es um das Beziehen einer Wohnung, Langeweile, Sitzen vor der Schreibmaschine, Alkohol, fades Rentnergetue und gequälte Essensgespräche.

Hat man schon zwei Hunde gesehen, die sich treffen, um sich über einen dritten Hund zu unterhalten, weil sie sich nicht für einander interessieren? (58)

Bei Dichterlesungen wird höchstens vermerkt, wer aller nicht gekommen ist, der Jaguar steht als lebende Tantieme vor der Tür, aber man weiß nicht wohin fahren, irgendwie erinnert die Stimmung an den späten Thomas Mann, wie er in seinen eigenen Phrasen bruzzelt.

Manches kann man sexuell auslegen, damit diese doofen Sätze einen Hauch von Erotik kriegen: „Ich werde immer enger“. (118) „Reise nach Dresden abgeblasen.“ (122)

Und der öde Tagesablauf endet immer im Nichts, vermutlich weil das Web noch nicht erfunden ist und das Netz noch analog gedeutet werden muss.

Diese schriftlichen Anstrengungen gegen das tägliche Vergessen und was dann im Netz hängen bleibt: dasselbe, dasselbe, dasselbe. (108)

Max Frisch hat sich wohl maßlos überschätzt, was die Bedeutung solcher Nachlass-Fetzen bedeuten könnte. Die Jungen fragen sich beklommen, was dieses Getue soll, die Alten überlegen höchstens, ob es bei ihnen 1973 ähnlich fad zugegangen ist.

Dieses Aufwecken alter Notizen zeigt auch deutlich, dass diese ganze Vorlass- und Nachlass-Unsitte im gegenwärtigen Literaturbetrieb noch zu einem faden Erwachen führen wird. Denn außer der Beschäftigung von einer Handvoll introvertierter Germanisten bringt diese G-Literatur nichts Sinnhaftes hervor.

Max Frisch, Aus dem Berliner Journal. Herausgegeben von Thomas Strässle unter Mitarbeit von Margit Unser.
Berlin: Suhrkamp 2014. 232 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-518-42352-3.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Max Frisch, Aus dem Berliner Journal
Wikipedia: Max Frisch

 

Helmuth Schönauer, 16-04-2014

Bibliographie

AutorIn

Max Frisch

Buchtitel

Aus dem Berliner Journal

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

232

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-42352-3

Kurzbiographie AutorIn

Max Frisch, geb. 1911 in Zürich, starb 1991 in Zürich.

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