Michael Köhlmeier, Das Sonntagskind

„Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!“ bemerkte der deutsche Schriftsteller und Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche.

Wohl kaum einer vermag Märchen und Sagen auf ähnlich direkte Weise zu erzählen wie Michael Köhlmeier. Wenn wir seine Märchen lesen oder hören, verspüren wir einen Hauch der Vergangenheit, eine angespannte Erregung auf die Geschichte die gerade erzählt wird. Wir verspüren eine unerwartete Neugier, wie sich die Handlung weiterentwickeln wird und selbst wenn wir das Märchen schon einmal gehört haben, erscheint es ein wenig fremd, wie in ein neues Gewand gehüllt.

In „Das Sonntagskind. Märchen und Sagen aus Österreich“ erzählt Michael Köhlmeier knapp 50 Märchen und Sagen aus allen Bundesländern und wie bereits von den klassischen Sagen gewohnt, erzählt er sie in der Manier des Märchenerzählers, in der das geschriebene Wort wie frisch erzählt und aufgeschrieben wirkt und die Leserinnen und Leser unmittelbar berührt.

50 Märchen und Sagen, zu denen teils bekannte Geschichten wie „Die Natternkönigin“, „Frau Hitt“, „Riep vom Winkel“ oder die Legenden rund um „Friedl mit der leeren Tasche“ ebenso gehören, wie weniger bekannte Erzählungen.

Köhlmeier erzählt immer mit einem Augenzwinkern sowie viel Wort- und Sprachwitz, sodass selbst ernsthafte Themen durch elegante Leichtigkeit bestechen. So lesen wir gleich zu Beginn:

Die Burgenländer sind ein begabtes Volk. Das kommt von den Bergen, die es dort nicht gibt. Nirgendwo, heißt es, gibt es so viele Sonntagskinder pro tausend Einwohner wie im Burgenland. Und das weiß man ja: Sonntagskinder sind besonders glückliche Kinder, besonders begabte Kinder. (7)

Wie es in Märchen so üblich ist, sind sie von Hexen, Teufeln und Geistern bevölkert, die es mit viel List und Schläue zu überwinden gilt. Dabei treffen wir auf den unbekannten Bauernburschen ebenso wie auf den berühmten Dr. Faustus oder den Salzburger Arzt und Philosophen Paracelsus und immer steckt auch der Erzähler Köhlmeier mitten in der Geschichte und spricht die Leserinne und Leser direkt an.

Heißt das nun, der Paracelsus hat sich damit einen Freibrief für den Himmel erworben? – Keine Ahnung! Woher soll ich das wissen? Ich hab’s erzählt bekommen – so oder so ähnlich – in Salzburg an einem sonnigen Tag im Mai … (49)

Köhlmeiers Märchen und Sagen aus Österreich lässt uns unsere alten Geschichten in einem neuen Kleid wieder entdecken und bietet einen neuen, frischen Zugang zu einem Stück eigener Vergangenheit. Ein überaus schönes und unterhaltsames Stück Literatur, das jüngere wie ältere Leserinnen und Leser zum Lesen und Weitererzählen anregt und das in keiner Bibliothek fehlen sollte.

Michael Köhlmeier, Das Sonntagskind. Märchen und Sagen aus Österreich, ab 12 Jahren
Wien: Deuticke-Verlag 2011, 320 Seiten, 20.50 €, ISBN 978-3-552-06156-9

 

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Andreas Markt-Huter, 15-03-2012

Bibliographie

AutorIn

Michael Köhlmeier

Buchtitel

Das Sonntagskind. Märchen und Sagen aus Österreich

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Deuticke-Verlag

Seitenzahl

320

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-552-06156-9

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Michael Köhlmeier wurde in Hard in Vorarlberg geboren und studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt am Main. Der österreichischer Schriftsteller, Musiker und Moderator lebt heute als freier Schriftsteller in Hohenems und Wien.