Sally Nicholls, Wie man unsterblich wird
Das Ungeheuerliche lässt sich in der Literatur noch am ehesten mit Listen darstellen. Dort nämlich, wo die gewöhnliche Sprache versagt, helfen Listen weiter. So sind die Gedächtnislisten an die Nazi-Opfer in ihrem Mahnmal-Charakter durch keine vollständigen Sätze zu ergänzen. Aber auch in der Verwaltung und Visualisierung von Katastrophen sind Listen das einzige Mittel, das Unsagbare in einer hilflosen Form zu dokumentieren.
Sally Nicholls beschreibt in ihrem Roman Wie man unsterblich wird die Aussichtslosigkeit eines Elfjährigen, mit seinem Tod zu Recht zu kommen. Sam hat Leukämie und schreibt ein Buch über seine Krankheit, so lange er noch bei Kräften ist.
In der Hauptsache legt er für das Unsagbare Listen an und zählt Dinge auf. So beginnt er seinen Lebenslauf ganz lapidar als Aufzählung,
ich heiße Sam, ich bin elf Jahre alt, ich sammle Geschichten und interessante Tatsachen, ich habe Leukämie, wenn du das hier liest, bin ich vermutlich tot. (12)
Aus den Listen ergeben sich immer wieder Fragen, die niemand beantworten kann. Tut sterben weh? Wohin geht man, wenn man gestorben ist?
Zwischen den Klinikaufenthalten gibt es manchmal Platz für ein ultimatives Abenteuer. So gelingt es Sam beispielsweise, auf einer Rolltreppe, die permanent nach unten fährt, nach oben zu kommen.
Andererseits verfällt sein Krankheits-Freund Felix immer mehr und stirbt. Sam drängt heftig, den toten Felix noch einmal berühren zu dürfen, denn er hat gelernt, dass das eine gute Sterbe-Vorbereitung ist.
Auf Listen wird nämlich auch erzählt, wie in anderen Kulturen mit den Toten umgegangen wird. Die Pygmäen etwa verbrennen alles, ziehen weiter und reden nie mehr ein Wort über den Verstorbenen.
Sogar eine Art Testament hinterlässt Sam, indem er die wichtigsten Dinge regelt.
Ihr dürft traurig sein, aber nicht zu traurig. Wenn ihr immer traurig seid, wenn ihr an mich denkt, wie könnt ihr euch dann an mich erinnern? (196)
Wie man unsterblich wird ist ein fröhliches, herzergreifendes Buch über das Sterben. Gerade was so einfach erzählt wird, hat die märchenhafte Kraft großer Gedankengänge. Und das Buch ist für alle Altersgruppen gleich gut geeignet, denn beim Sterben ist jeder Mensch gleich alt, auf der Stufe zur Unsterblichkeit eben.
Sally Nicholls, Wie man unsterblich wird. Jede Minute zählt. A. d. Engl. von Birgitt Kollmann. [Orig.: Ways To Live Forever, London 2008.]
München: Hanser 2008. 197 Seiten. EUR 12,90. ISBN 978-3-446-23047-7.