Ursula Dubosarsky, Nicht jetzt, niemals

„Ich denke ich kann euch vertrauen, jeder Einzelnen von euch.“ Miss Renshaw machte eine Pause. „Ich hoffe ihr versteht.“ Es ist unser Geheimnis, nicht wahr, Mädchen? „Jetzt?“, fragte Bethany, mit großen, großen, immer größer werdenden Augen. (34)

An einer Mädchenschule an der australischen Küste unterrichtet die Lehrerin Miss Renshaw eine vierte Klasse mit elf Mädchen. Miss Renshaw strahlt für die Schülerinnen eine natürliche Autorität aus und besticht durch ihren eigenwilligen Unterrichtsstil.

An dem Tag, als in Melbourne die letzte Hinrichtung in Australien durchgeführt wird, beschließt sie, mit den elf Mädchen in den Garten zu gehen, um ihnen etwas über den Tod beizubringen. Dabei ringt sie den Kindern das Versprechen ab, niemandem von dieser Unterrichtsstunde zu erzählen „Nicht jetzt, niemals“.

Getragen von einer melancholischen Stimmung verlegt die Lehrerin den Unterricht, wie schon öfters zuvor, in die Ena Thompson Memorial Gardens. Hier treffen sie den Gärtner Morgan, ein Kriegsdienstverweigerer und Poet, der von Miss Renshaw mehr als nur bewundert wird. Früher haben die Mädchen meist den Auftrag erhalten ein Gedicht zu schreiben oder einfach den Erzählungen Morgans zuzuhören. Diesmal soll ihnen Morgan ein Geheimnis zeigen. Sie besuchen eine versteckte Höhle am Meer, wo Bilder der australischen Urbevölkerung zu finden sind.

Bald schon aber beginnen sich die ersten Mädchen in der beklemmenden und düsteren Höhle unwohl zu fühlen und wollen wieder zurück.

Wartet hatte Miss Renshaw gesagt, nicht jetzt. Aber sie warteten nicht. Es war Cynthia, die nicht warten konnte, die keuchend nach Luft schnappt, die als erste ging und die anderen hinter ihr her. Miss Renshaw rief ihnen nicht zu: Bleibt stehen, Mädchen, bleibt sofort stehen. Also blieben sie nicht stehen. (43)

Als die Mädchen die Höhle verlassen, wird es das letzte Mal gewesen sein, dass sie ihre Lehrerin sehen. Sie laufen zur Schule zurück und hoffen insgeheim, dass Miss Renshaw mittlerweile auf einem anderen Weg ebenfalls zurückgekommen ist. Doch je länger ihre Lehrerin ausbleibt, desto nervöser werden alle. Die Direktorin Mrs beginnt die Mädchen nach dem Verbleiben ihrer Lehrerin auszufragen, aber diese fühlen sich an das feierliche Versprechen, das ihnen Miss Renshaw abgenommen hatte gebunden und verraten kein Wort über ihren Ausflug in die Höhle am Meer.

„Ich will euch nicht beschuldigen etwas zu verheimlichen. Vielleicht begreift ihr den Ernst der Lage nicht ganz.“ Da lag Mrs Arnold völlig falsch. Sie verstanden nur zu gut. Sagt nichts, flüsterten sie im Geiste einander zu. Sagt nichts. Wir dürfen es niemandem erzählen. (77)

Bald beginnt sich auch die Polizei mit dem Verschwinden von Miss Renshaw zu beschäftigen, wobei ein Verbrechen nicht mehr ausgeschlossen wird. Doch ist nicht nur sie, sondern auch der Gärtner Morgan verschwunden. Aus den Zeitungsberichten erfahren die Mädchen, dass Morgan früher anders geheißen hatte und im Gefängnis gewesen war. Schließlich gelingt es dem Schulpsychologen Mr Dern Bethany, der labilsten der Schülerinnen, ihr Geheimnis zu entlocken.

Acht Jahre später sollten vier der elf Mädchen am Tag ihrer Reifeprüfung eine unerwartete und merkwürdige Begegnung haben.

„Nicht jetzt, niemals“ ist die mysteriöse Geschichte einer Schulklasse behüteter Mädchen, die über Nacht aus ihrer unbeschwerten Kindheit gerissen wird. Die Kinder werden zwischen dem feierlichen Versprechen an ihre vermisste Lehrerin und dem immer stärker werdenden Druck der Erwachsenen zunehmend aufgerieben. Dabei lässt Ursula Dubosarsky den Leserinnen und Lesern bei der Vorstellung, was mit Miss Renshaw nun wirklich geschehen ist, der Fantasie geschickt freien Lauf und lässt die aufkommen Fragen unbeantwortet.

„Nicht jetzt, niemals“ ist jedoch alles andere als lediglich ein Kriminalfall, sondern vielmehr eine Ode an die Poesie und Fantasie sowie ein melancholischer Abschied von der Kindheit. Immer wieder verschwimmen Realität und Fantasie ohne sich letztendlich auflösen zu lassen.

Zu guter Letzt ist der Roman aber auch ein Stimmungsbild einer Zeit, in der sich alte Strukturen zu lösen beginnen. Über all dem schwebt eine zentrale Frage des Lebens stets im Raum, die Frage nach dem Verhältnis von Traum und Wirklichkeit, von Realität und Fantasie und deren Bedeutung im Leben eines jeden Einzelnen.

Ursula Dubosarskys wunderbar feinsinniger Roman überzeugt durch seine feinen Töne sowie seine leichten und melancholischen Stimmungsbilder, welche das Geschehen oft mehr mit dem Gefühl als dem Verstand erfassen lassen. Ein überaus schönes und empfehlenswertes Buch, das niemanden gleichgültig lässt.

Ursula Dubosarsky, Nicht jetzt, niemals. Übers. v. Silvia Schröer, [Orig. Titel: The Golden Day] ab 14 Jahren
Wien: Ueberreuter-Verlag 2012, 143 Seiten, 12,95 €, ISBN 978-3-8000-5676-7

 

Weiterführende Links:
Ueberreuter-Verlag: Ursula Dubosarsky, Nicht jetzt, niemals
Wikipedia: Ursula Dubosarsky

 

Andreas Markt-Huter, 26-02-2013

Bibliographie

AutorIn

Ursula Dubosarsky

Buchtitel

Nicht jetzt, niemals

Originaltitel

The Golden Day

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Ueberreuter

Übersetzung

Silvia Schröer

Seitenzahl

143

Preis in EUR

12,95

ISBN

978-3-8000-5676-7

Lesealter

Kurzbiographie AutorIn

Ursula Dubosarsky hat Englische Literatur studiert und gilt als eine der talentiertesten und originellsten Schriftstellerinnen Australiens. Die Autorin von zahlreichen Büchern für Kinder, Jugendliche und Erwachsene lebt mit ihrer Familie in Sydney.