Wolfgang Fürweger, Verbrannte Kindheit

Schon griechische und römische Soziologen haben in ihren antiken Essays darüber geklagt, dass die Jugend noch nie so schlimm gewesen sei wie die jeweils gegenwärtige. Und auch in der Gegenwart täuschen die besten pädagogischen Modellversuche nicht darüber hinweg, dass die Gesellschaft in vielen Angelegenheiten von den Jugendlichen gefordert und überfordert ist.

So sind die in der Öffentlichkeit diskutierten „Bettlerbanden“ von Jugendlichen, die angeblich gewisse Städte unsicher machen, genauso Ausdruck von Hilflosigkeit wie der Kampfeinsatz frustrierter Jugendlicher in kaputten Staatsgebilden Syriens und des Irak.

Vergessen wird bei diesen sozialen Auswüchsen die Tatsache, dass die sogenannte Jugend immer wieder verführt, durch falsche Ideale verhext und in die Inhumanität getrieben worden ist.

Im Raum Tirol und Salzburg kommt es in den Jahren 1677 bis 1679 zu völlig aus den Fugen geratenen sogenannten Hexenprozessen. Einerseits stilisiert man dabei einen gewissen Jakob Koller zum „Zauberer Jackl“ hoch und macht ihn für allen kriminellen Kleinkram verantwortlich, andererseits baut man ihn als Bandenkopf auf, der ganze Jahrgänge von Jugendlichen verführt haben soll. Ausforschung, Gerichtsverfahren und Dokumentation unterliegen den Spielregeln brutaler Folter, weshalb auch Jugendliche ohne Gnade hingerichtet werden.

Wolfgang Fürweger stellt diese Dokumentation über ein düsteres Kapitel inneralpiner Pädagogik ganz in den Dienst einer möglichst emotionslosen Aufklärung. Das Schicksal der Delinquenten geht dabei ohnehin unter die Haut, weshalb sich der Autor nach einer kurzen theatralischen Sequenz von Felix Mitterers „Die Kinder des Teufels“ auf den puren Ablauf der Hexenprozesse konzentriert.

Der Verführer der Jugend, das große Grauen, Schnellverfahren mit vorgefertigten Geständnissen, Folter und Haftbedingungen, Adelstitel als Belohnung lauten die Kapitelüberschriften für ein Verfahren, das sich phasenweise verselbständigt hat und von niemandem mehr eingedämmt werden kann. Diese von Vorurteilen gespeiste Dramaturgie zeigt ernüchternd, dass mit Gewalt gegen Andersdenkende letztlich nur die Bewohner ganzer Landstriche traumatisiert werden, wenn sie die Maßnahmen der Behörden überhaupt überleben.

Zwei Listen im Anhang sprechen für sich: die Liste der Opfer der Verfolgung und die Liste der Stadt-, Land- und Pflegegerichte. Parallel gelesen tut sich der Verdacht auf, dass jedes Gericht eine Hinrichtung braucht, um vom System anerkannt zu werden.
Wolfgang Fürwegers „Verbrannte Kindheit“ ist ein Jugendbuch der besonderen Art. Es zeigt die fragile Grenze zwischen entgleister Erwachsenenwelt und entgeisterter Jugend. Und diese dämonische Formel schwebt über allen Gesellschaften weit jenseits des Hexenwahns.

Wolfgang Fürweger, Verbrannte Kindheit. Die vergessenen Kinder der Hexenprozesse um den Zauberer Jackl. 1677-1679, ab 16 Jahren
Wien: Ueberreuter 2015, 207 Seiten, 19,99 €, ISBN 978-3-8000-7606-2

 

Weiterführender Link:
Ueberreuter-Sachbuch: Wolfgang Fürweger, Verbrannte Kindheit

 

Helmuth Schönauer, 09-02-2015

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Fürweger

Buchtitel

Verbrannte Kindheit. Die vergessenen Kinder der Hexenprozesse um den Zauberer Jackl. 1677-1679

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Ueberreuter Verlag

Seitenzahl

207

Preis in EUR

19,99

ISBN

978-3-8000-7606-2

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Fürweger lebt als Journalist in Wien und Salzburg.