Fred Vargas, Die dritte Jungfrau

Buch-CoverWie kann man zwischen Wahn und Wahrnehmung hin und her driften, ohne dass man nicht restlos den Überblick verliert?

Im Kriminalgenre gibt es die Idee der Dissoziation. Davon betroffen sind Individuen, die sich aus zwei unverbundenen Teilen zusammensetzen, einem, der tötet, und einem anderen, der ein normales Leben führt, wobei die beiden Hälften nichts von einander wissen. (34)

Kommissar Adamsberg hat sich gerade in Paris ein kleines Haus gekauft, in dem es ordentlich spukt. Angeblich soll eine unerlöste Seele am Dachboden als Schatten der Revolution durch das Gebälk schweben. Wie im Leben eines Kommissars üblich, werden auch pünktlich zu Dienstbeginn zwei Tote angeliefert, eigentlich will man sie als Drogenopfer abtun, aber unter den Fingernägeln brennt es, die beiden haben Dreck unter den Nägeln, offensichtlich haben sie etwas Seltsames ausgegraben. In der Folge hat es der Kommissar nicht leicht, und mit ihm ist auch der Leser gefordert, diesem stündlichen Wechsel der Spurenlage zu folgen.

Einmal drängt sich eine Gerichtsmedizinerin in den Vordergrund, mit der der Kommissar vielleicht einmal eine Affäre gehabt hat, sie füttert ihn jedenfalls mit seltsamen Theorien, unter anderem mit jener der Dissoziation. Dann wiederum soll eine Nonne in gasförmigem Zustand am Dachboden wohnen, die Gerüchte gehen auf seltsame, alchimistische Rezepturen zurück. In diesem geheimnisvollen Buch, das zur rechten Zeit auftaucht wimmelt es nur so von geheimnisvollen Rezepturen zur Verlängerung des Lebens.

Das ganze Kommissariat arbeitet nun auf der alchemistischen Schiene, Penisknochen, tauchen auf, und letztlich weiß man, was die zwei Toten zu Beginn gesucht haben: Jungfrauen, denen sie Haare aus dem Grab heraus entfernt haben. Offensichtlich wird noch eine dritte Jungfrau gebraucht. Wo wird der oder die Irre das nächste Mal zuschlagen? Und vor allem, wie kann man eine Jungfrau zu Lebzeiten erkennen, damit man sie schützen kann?

Parallel zum Fall läuft noch eine Geschichte aus den Jugendtagen des Kommissars. Zwei Banden aus entlegenen Talschaften haben sich einmal bekriegt, geblieben ist ein etwas vertrottelter Gegenkommissar, der nur in Versen spricht.
Nach allerhand hakenschlagenden Ermittlungen sind am Schluss ziemlich viele Ermordete, Verdächtigte, Verletzte und Verblüffte am Set. Das Ende und die Klärung folgen kurz und irgendwie schmerzlos.

Die dritte Jungfrau ist ein üppiger Krimi, der im Zweifelsfalle den logischen Gesetzen der Alchimie gehorcht, und so alles tun und lassen kann, was in der Phantasie möglich ist. Kommissar Adamsberg verwaltet als literarischer Held seinen Kosmos an Erfahrung, immer wieder kommt es zu Anspielungen auf frühere Fälle, die dem Leser beweisen sollen, dass alles logisch ist.

Die Suche nach einer Jungfrau ist manchmal schon etwas altväterlich doof, aber mit etwas Geduld kann man es als Ironie durchgehen lassen. Dass die Autorin gelernte Archäologin ist, kommt natürlich beim Ausbuddeln der Leichen dem Roman zu Gute. Wer so gut gräbt, wird wohl auch in der Alchimie firm sein, lautet die Botschaft. Und mit Hilfe der Dissoziation lässt sich so gut wie alles erklären. Man sollte diese Methode beim Dechiffrieren von Wahnsinn durchaus auch einmal bei lebenden politischen Akteuren anwenden!

Fred Vargas, Die dritte Jungfrau. Roman. A. d. Französ. von Julia Schoch. [Orig.: Dans les bois éternels; Paris 2006].
Berlin: Aufbau-Verlag 2007. 474 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-351-03205-0.

 

Weiterführende Links:
Aufbau-Verlag: Fred Vargas, Die dritte Jungfrau
Wikipedia: Fred Vargas

 

Helmuth Schönauer, 05-11-2007

Bibliographie

AutorIn

Fred Vargas

Buchtitel

Die dritte Jungfrau

Originaltitel

Dans les bois éternels

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Aufbau-Verlag

Übersetzung

Julia Schoch

Seitenzahl

474

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-351-03205-0

Kurzbiographie AutorIn

Fred Vargas, geb. 1957, ist gelernte Archäologin, lebt in Paris.

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