Andrej Kurkow, Herbstfeuer

Buch-CoverHerbstfeuer, das riecht nach weitem Land in Russland und der Ukraine, am Fuße einer unsäglichen Wetterfront machen die Bewohner noch einmal richtig Dampf und sieden und braten alles, was sie für den langen Winter brauchen.

In der Titelgeschichte Herbstfeuer wird zudem alles verheizt, was eigentlich verboten ist.

Oma Olja nützt die Chance und verheizt ihren Mann. Dieser Fjodor trägt nicht allzu viel zum Gelingen der Ehe am Land bei, außer dass er Brennholz hackt, macht er nichts, zumal er Nächtens fort geht. Olja sitzt im großen Ehebett mitten im weiten Land und hat nichts von ihrem Mann, der nicht mehr richtig tickt und beispielsweise ununterbrochen sinnlos gefangenen Fisch zum Trocknen aushängt. Als der Mann schon lange fort ist, kommt er doch wieder einmal nach Hause, steigt über den Zaun, wird von Olja für einen Einbrecher gehalten und mit der Mistgabel erstochen. Jetzt unter den vielen Herbstfeuern fällt es gar nicht auf, dass bei Olja der Verblichene mit schmort.

Andrej Kurkow erzählt diese Groteske mit sarkastischen, fast wortlosen Schlieren. In der Stummheit der Einsamkeit bedarf es keiner Worte. Das Wenige, was zu sagen ist, wird knapp gesagt, was zu tun ist, wird ansatzlos getan. Dieser kurze Sketch vom öden Landleben erzählt mit der Melancholie von Tschechow ein Stück Herbst des Daseins, das sich schließlich in Rauch auflöst.

Auch die anderen sieben Geschichten enden meist mit einer pfiffigen Pointe gelungener Unwahrscheinlichkeit. Touristen werden beispielsweise in einer öden Gegend dazu angehalten, endlich ein Wunschkind zu zeugen. Am nächsten Morgen stellt sich dann heraus, dass sie dem sogenannten Tschernobyl-Roulette ausgesetzt gewesen sind. Gerüchtehalber soll der entlegene Zeugungsort mitten im radioaktiv verseuchten Gebiet von Tschernobyl gelegen sein, weshalb die Vegetation üppig, die Natur hyper-natürlich und die Zeugungskraft überschwänglich ausfallen.

Für Aufsehen sorgt auch eine schnurrend samtige Dame, die nach dem Geschlechtsverkehr mit spontanen Partnern immer das gebrauchte Kondom verschwinden lässt. Selbst der Detektiv, der die Sache ausforschen soll, wird Opfer der Kondom-Räuberin. Den Beteiligten vergeht freilich das Lachen, als sich herausstellt, dass eine Erpresserbande mit den gestohlenen Samenportionen Schwangerschaften ansetzen, um die unabsichtlichen Väter auf Unterhaltszahlung zu klagen.

Ein Schriftsteller, dem eine neue Leber eingepflanzt worden ist, muss sich gar mit den Erben des Spenders auseinandersetzen, die partout die Originalleber des Spenders zurückhaben wollen. Als Schriftsteller hat man es freilich manchmal leicht, man kann sterben. Der Held dieser Erzählung stirbt also und rettet so seine frische Leber ins Jenseits.

Andrej Kurkows Erzählungen bringen die skurrilen Adern jeder Handlungskraft vorzeitig zum platzen, aus den Gefäßen tritt groteskes Erzählblut der hochgesprudelten Art. Gerade weil wir Leser so überaus neugierig und vergafft sind, kriegen wir bei Andrej Kurkow das Monströse des Alltags in Überdosis. Die Geschichten zischen so aberwitzig knapp an der erwarteten Realität vorbei, dass wir sie für glaubhaft halten.

Andrej Kurkow, Herbstfeuer. Erzählungen. A. d. Russ. von Angelika Schneider.
Zürich: Diogenes 2007. 232 Seiten. EUR 28,90. ISBN 978-3-257-06606-7.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Andrej Kurkow, Herbstfeuer
Wikipedia: Andrej Kurkow

 

Helmuth Schönauer, 16-01-2008

Bibliographie

AutorIn

Andrej Kurkow

Buchtitel

Herbstfeuer

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Diogenes

Seitenzahl

232

Preis in EUR

28,90

ISBN

978-3-257-06606-7

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Kurkow, geb. 1961 in St. Petersburg, lebt in Kiew und London.