Thomas Brussig, Schiedsrichter Fertig

Buch-CoverDas Wort "fertig" gilt in der Fußballsprache als eine Zauberformel, seit ein Wundertrainer einmal völlig von Sinnen den seltsamen Satz in das Mikrophon gestoßen hat: "Ich habe fertig!"

In Thomas Brussigs Litanei heißt der Schiedsrichter Fertig, er ist selbst fertig, macht alle am Spielfeld fertig und letztlich auch den Leser mit seiner Litanei. Der Sinn einer Litanei besteht ja darin, durch permanente Anrufung selbst in den Zustand von Ekstase, Rage oder purer Meditationswut zu gelangen.

Schiedsrichter Uwe Fertig rechnet mit der Welt ab, und wenn schon der Rasen, auf dem er seine Pfeife einsetzt, die Welt darstellt, dann pfeift er letztlich ständig auf die Welt. Dabei gibt es überraschende Erkenntnisse. Beispielsweise sind im Schiedsrichterwesen Quereinsteiger völlig unüblich. Auch wenn sie von der Seite quer ins Feld marschieren, sind sie dennoch alle von Geburt an Schiedsrichter und haben in ihrer Kindheit meist ein schiedsrichterliches Initiations-Erlebnis gehabt, das sie ein Leben lang begleitet.

Bei Uwe Fertig war dies ein Hausmeister, der Tag und Nacht anwesend war und eine Aura höchster Aufmerksamkeit und Überwachung verströmte. Von diesem Hausmeister können wir lernen: Ein guter Schiedsrichter ist immer anwesend und kauft den Spielern die Schneid ab, noch ehe diese ein Faul begehen.

Eine weitere Weltbewegende Erscheinung ist die sogenannte Tatsachenentscheidung. Was immer du als Schiedsrichter pfeifst, es ist eine Tatsache, auch wenn es völlig falsch ist. In diesem Punkte sind Schiedsrichter waschechte Politiker, die zwar auch alles falsch machen, es aber für richtig halten. Freilich können Tatsachenentscheidung in der Politik manchmal durch Neuwahl oder den Tod des Protagonisten korrigiert werden, während ein Schiedsrichter nur durch eine katastrophale Fehlentscheidung unsterblich werden kann.

Der Schiedsrichter ist nicht nur neutral, sondern auch Luft. Trifft ihn ein Ball, so ist es so, als wäre dieser durch den Schiedsrichter hindurch gegangen. In dieser Position ist Mister Fertig der ideale Kommentator der jüngeren Zeitgeschichte, kann er doch als Luft-Medium der Geschichtsschreibung auftreten. Was immer er lamentiert, es ist richtig, weil der Raunzer selbst Luft ist. Gerade in der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR ist diese Erzählposition elegant überzeugend, die Geschichte kann als Mittelding zwischen Nostalgie und Irrtum dargestellt werden, ohne dass es auf die Betroffenen irgendeinen Schatten wirft.

Schließlich endet die Litanei der Abrechnung mit einer kurzen Aussicht auf den Tod. Chirurgen nämlich können auch Fehlentscheidungen vornehmen, ein falsch gesetzter Schnitt ist mindestens so letal wie ein falsch gepfiffener Elfer. Und was ist dann bewiesen? Dass wir alle Luft und unsterblich sind?

Thomas Brussig verwendet das triviale Jargon-Material aus der Fußball-Szenerie gnadenlos unbarmherzig, um uns unsere flachen Balle im eigenen Hirn vorzuführen. Ob Gerechtigkeit in der Justiz, Wahnsinn im Schulwesen oder sinnlose Kommunikation am Handy, es ist eine verrückt einfache und logische Welt, die uns da Herr Fertig als Überlebenspfeife zusammendreht!

Thomas Brussig, Schiedsrichter Fertig. Eine Litanei.
St. Pölten: Residenz Verlag 2007. 92 Seiten. EUR 12,90. ISBN 978-3-7017-1481-0.

 

Weiterführende Links:
Residenz-Verlag: Thomas Brussig, Schiedsrichter Fertig
Homepage: Thomas Brussig

 

Helmuth Schönauer, 24-03-2008

Bibliographie

AutorIn

Thomas Brussig

Buchtitel

Schiedsrichter Fertig. Eine Litanei

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Residenz Verlag

Seitenzahl

92

Preis in EUR

12,90

ISBN

978-3-7017-1481-0

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Brussig, geb. 1965 in Berlin, lebt in Berlin.