Oleg Jurjew, Die russische Fracht

Buch-CoverGute Romane beginnen manchmal abenteuerlich logisch und biegen dann jäh in verwuchertes Gelände ab.

Oleg Jurew lässt seinen Helden Weniamin Jasytschik panisch in den St. Petersburger Hafen flüchten, es ist nicht ganz klar, warum diese Flucht notwendig ist, aber die Angst ist authentisch. Weniamin versteckt sich auf einem Ukrainischen Frachter und ist fürs erste gerettet.

Aber dieser Frachter besteht nur auf den ersten Blick aus logischen Komponenten, in Wirklichkeit ist er eine aus historischem Material zusammengesetzte Fracht-Metapher. In den Kühlräumen liegen Leichen, die vielleicht nach Deutschland transportiert werden müssen, die Besatzung ist eine Mischung aus historischen Figuren und phantastischen Idealbildern, die Reiseroute ist an manchen Tagen vorgegeben, an anderen Tagen gilt es, in einer Art Verfolgungswahn vor dem nächstbesten Schiff zu flüchten.

Zwischendrin gibt der Kapitän Befehle über Lautsprecher durch, die aber genau so gut als historische Kommentare durchgehen könnten.

Eher zufällig erfährt der Leser, dass Weniamins Stiefvater umgebracht worden ist und die Gangster sich nun an die Fersen des Helden geheftet haben, um ihn zu liquidieren. Weniamin ist Historiker und sucht genaugenommen die sagenhafte Stadt Vineta, die als die schönste Stadt eines versunkenen Baltikums gilt.

Auf dem Frachter "Atenov" tun sich immer wieder neue Räume auf, so verlagert sich die Handlung plötzlich in das Lenin-Zimmer, das eine Mischung aus Möbel und Erinnerung ist. Die kreuzenden Schiffe heißen Ulysses, Projekt 17700 oder Zweifacher Held der Sowjetunion. Alles, was als historisches Material durch Geschichtsbücher kreuzt, kreuzt auch auf den Meeren.

Und wenn schon die geheimnisvolle Stadt Vineta nicht auftaucht, so ist der Hafen von Lübeck oder Kiel vielleicht echt.

Oleg Jurjew erzählt, als ob es kein Oben oder Unten gäbe, kein Vorher und kein Nachher, kein Land und kein Wasser. Wie im berühmten Mahlstrom der Joyce'schen Erinnerung fließen Abenteuer, Geschichte, Alltagskleinigkeiten und heroische Partikel über die Seiten. Als Leser tut man gut daran, siech diesem Erzählfluss nicht in den Weg zu stellen. Die russische Fracht erweist sich als schwere historische Last, die auf einem Meer der Phantasie durch die Zeiten geschoben wird.

Oleg Jurjew, Die russische Fracht. Roman. A. d. Russ. von Elke Erb und Olga Martynova. [Orig.: Vineta].
Frankfurt/M: Suhrkamp 2009. 220 Seiten. EUR 22,80. ISBN 978-3-518-42076-8.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Oleg Jurjew, Die russische Fracht
Wikipedia: Oleg Jurjew

 

Helmuth Schönauer, 30-04-2009

Bibliographie

AutorIn

Oleg Jurjew

Buchtitel

Die russische Fracht

Originaltitel

Vineta

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Elke Erb / Olga Martynova

Seitenzahl

220

Preis in EUR

22,80

ISBN

978-3-518-42076-8

Kurzbiographie AutorIn

Oleg Jurjew, geb. 1959 in Leningrad, lebt seit 1991 in Frankfurt

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