Katja Lange-Müller, Die Letzten

Buch-CoverManchmal entsteht sogar in der Arbeitswelt der Hauch von Verzückung und Geheimnis. Zumindest für den Leser gibt es nichts Schöneres, als durch das längst ausgestorbene Buchstabenreich einer alten Druckerei zu wandern.

Bei Katja Lange-Müller freilich ist für die Ich-Erzählerin die Druckerei ein ärgerlicher Höhepunkt einer miesen Arbeitswelt. Quasi als Not-Job heuert die Erzählerin in einer Klein-Druckerei an und ist sofort von seltsamen Kollegen umgeben.

Die Druckaufträge sind eher skurril, werden aber mit Akribie auf soliden Maschinen abgewickelt. Man hänselt einander, erotisiert sich ein wenig und übrig bleibt der längste Kosename der Welt: ?Arme Püppi, du arme, einarmige blaue Elefantin, mein armer schwarzer Kater. (20)

Diese Stimmung lässt sich nur mit viel Getränk aushalten, an Wochenenden spült die linkshändige Druckerin jede Menge DDR-Weinbrand in sich hinein. Einmal kommt es zu einem recht verunglückten Kontakt mit einem Kollegen, der ihr in einem Spiritusglas seinen Zwillingsbruder zeigt, den sie aus seiner Hüfte heraus operiert haben.

Was bleibt, sind Einsamkeit und Getränke, bis plötzlich eine Pflanze auftaucht, die das Leben verschönern könnte, aber noch am gleichen Abend bringt eine falsche Freundin eine Gegenpflanze mit, so dass die Pflanzengeliebte eingeht.

Da ist eines Tages plötzlich die Druckerei geschlossen, niemand weiß warum, die Polizei ermittelt, man vermutet, dass sich der Inhaber der Druckerei in den Westen abgesetzt hat. Ok, denkt man sich als Leser, eine spannende Geschichte. Aber jetzt, als die Geschichte so halbwegs beendet ist, geht sie erst richtig los.

Es tauchen nämlich kompliziert zwischen Ost und West verschickte Briefe auf, die eine ganz andere Geschichte erzählen. Alle in der Druckerei haben quasi ein Doppelleben geführt, ein Leben jenseits der offiziellen Staatsräson. Jeder hat für sich ein ideales Konzept der Tarnung entwickelt und allmählich begreift man, warum eine Druckerei die Schlüsselrolle für eine gute Tarnung spielt. In einer Druckerei nämlich werden neben offiziellen Botschaften auch jede Menge Geheimbotschaften gedruckt. So bietet die Drucktechnik die Möglichkeit, durch die Wahl der Zwischenräume Geheimbotschaften zu versenden.

In den Briefen und Fahnen für geheime Information flutschen die Helden zwischen Taschkent, Hamburg und Berlin hin und her. Die Botschaften verselbständigen sich, und am Schluss verliert die Heldin gar noch die wichtigste Unterlage im Zug. Gute Botschaften verschwinden eben ganz trivial im Alltagsgebrauch,

Katja Lange-Müller erzählt mit Raffinesse über die Subversivität des individuellen Lebens, über das Kunstwerk des Druckens und die aussterbende Kraft eines Handwerkes oder eines ganzen Staates. Die Letzten in ihrem Metier sind oft die Aufgewecktesten.

Katja Lange-Müller, Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei.
Frankfurt: Fischer Taschenbuch 2002. ( = Fischer Taschenbücher 15501). 135 Seiten. EUR 8,20. ISBN 978-3-596-15501-9. [Orig. Köln, 2000].

 

Weiterführende Links:
Fischer-Verlag: Katja Lange-Müller, Die Letzten
Wikipedia: Katja Lange-Müller

 

Helmuth Schönauer, 24-07-2009

Bibliographie

AutorIn

Katja Lange-Müller

Buchtitel

Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2002

Verlag

Fischer Taschenbuch

Seitenzahl

135

Preis in EUR

8,20

ISBN

978-3-596-15501-9

Kurzbiographie AutorIn

Katja Lange-Müller, geb. 1951 in Ostberlin, verließ die DDR 1984.