Wolfgang Hermann, In Wirklichkeit sagte ich nichts

Buch-CoverManche Situationen schreien geradezu nach einem philosophischen Satz, der die verzwickte Lage auflöst. In Wirklichkeit sagte ich nichts ist vielleicht eine Erlösungsformel, die ein geordnetes Weiterleben zumindest für die nächste Viertelstunde ermöglicht.

Wolfgang Hermann gilt als Meisterinterpret jener unauffälligen Geschehnisse, die letztlich dem Leben der Figuren wenn schon keinen Sinn, dann zumindest einen ermunternden Dämpfer verpassen.

In der Eingangserzählung "Die tunesische Nacht" wandelt ein Europäer durch die Höhen und Tiefen von Tunis. Das soziale Elend lässt sich beinahe haptisch beschreiben, die Menschen wählen ungewöhnliche Strategien, um über die Runden zu kommen, in der Hauptsache betrinken sie sich, wo immer es geht. Der Erzähler sucht mit seinen Freunden ebenfalls eine Nacht lang etwas zu trinken, aber es ist recht kompliziert, zumal die meisten ohnehin schon ziemlich betrunken sind.

Einer kann nicht einmal mehr lachen, so fett ist er schon. Der große Durst, die Hitze der Nacht, das Elend ohne Zuversicht rinnen in einem heißen Strom von kleinen Ereignissen durch die Dunkelheit. Der Erzähler wird diese Stadt wieder verlassen, die Flugzeuge starten ununterbrochen, die tunesische Nacht allerdings wird sich wiederholen und wiederholen und wiederholen.

In der Titelgebenden Geschichte lobt ein Erzähler überschwänglich die Metro, weil sie ihm schon öfters das Leben gerettet hat. In einem Monolog, der auch als Theaterstück vorliegt, erzählt ein Gestrandeter, wie das so ist mit dem Untergrund, der Metro und der Flasche, die täglich aufs neue wie eine Ikone angebetet werden muss. Im Dialog mit der Flasche tritt dann auch dieser philosophische Übersatz zu tage.

In Wirklichkeit sagte ich nichts von all dem. Ich zitterte beim Gedanken, dass die Angst gleich wieder kommen könnte. Noch ein Schluck aus diesem Glas, und ich würde die Grenze passieren. (499

In kleinen Miniaturen trifft ein Maler mit seinem männlichen Modell zusammen, und während das Modell auspackt, verrinnt alles im frischen Regen. An einem Spätwintertag setzt plötzlich Föhn ein und bringt die Sätze im Kopf zum Schwingen, bis die Schädeldecke knarrt. Und immer wieder tauchen so zusammengepresste Sätze auf, die die Verdichtung ganzer Lebensepochen sind.

Jemand flüchtet in die Unwirklichkeit und meint, er habe ein geheimes Leben. (93) Mitten in der Stille kommt es zur Trennung der Geliebten, und der Mann fasst zusammen: "Am nächsten Tag verließ ich Christina, die mich schon lange verlassen hatte". (114)

Wolfgang Hermann lässt seine Erzählungen nie mit einem Tusch einsetzen. Er erzählt, man liest, und plötzlich mitten in der Stille ist alles da. Eine Welt voller Bausteine, von denen es oft nur zwei braucht, um einen ganzen Kosmos zu konstruieren.

Wolfgang Hermann, In Wirklichkeit sagte ich nichts. Erzählungen.
Innsbruck: edition laurin 2010. 125 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-902719-38-6.

 

Weiterführende Links:
Wikipedia: Wolfgang Hermann
Edition-Laurin: Wolfgang Hermann, In Wirklichkeit sagte ich nichts

 

Helmuth Schönauer, 25-02-2010

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Hermann

Buchtitel

In Wirklichkeit sagte ich nichts

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

edition laurin

Seitenzahl

125

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-902719-38-6

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Hermann, geb. 1961 in Bregenz, lebt in Wien.

Themenbereiche