Josef Oberhollenzer, Der Traumklauber

Buch-CoverTräume sind das halbe Leben, heißt es im Volksmund. Ob man sie nun bei Tage als unerreichte Zukunftspläne aussitzt, in der Nacht als handfeste Geschichten herunter spult oder auf der Couch dem Psychiater an den Kopf wirft, immer geht es um einen beinahe komplementären Zustand zur sogenannten Realität.

Josef Oberhollenzer bringt in seiner Erzählung einen Traumklauber in Position. So wie andere Kleinodien, Oldtimer oder Raritäten sammeln, sammelt er Träume.

Dabei bedauert er es außerordentlich, dass er ein so genannter Nullträumer ist und keine eigenen Träume zusammen bringt. Aus diesem Grund lässt er sich Träume erzählen, interviewt Traum-Partner und dokumentiert die Träume mit einer Hingabe, als ob er sie selbst erlebt hätte.

In 52 Träumen kommen alle "Traum"-Begriffe zu einer exzessiv ausgeträumten Hintergrundgeschichte. Allein wenn man die Überschriften liest, merkt man, dass sich das Wort Traum so gut wie mit jedem Wort verbinden lässt. Massentraum, Traumschwester, Traumwandlung, Kindstraum, Traumsuche: der Traum lässt sich sowohl vorne als auch hinten zu einem neuen Traumwort zusammensetzen.

Neben den skurrilen Handlungen, die sich an keine Ordnung, Hierarchie oder Schwerkrafft halten müssen, beeindrucken oft kurze Fügungen, die scheinbar aller Logik enthoben sind und die vollste Poesie verströmen.

Wie er aufgewacht sei und sein Herz bis in die Schläfen schlägt, wie der kopf dröhnt wie noch nie. Daß ihm der Schädel fast platzt, als er aufgewacht sei; wie er aufgeschreckt sei und nach Luft schnappt; wie er den Kopf durch die Dachluke reckt ober ihm, "Luft, endlich Luft!", mit dem Fahrtwind Luft - und wie er wieder geköpft wird, im Traum. (90)

Realitytraum nennt sich dieser Horror an der Kippe zwischen aufwachen und abdösen, zwischen Traum und Realität.

Manchmal ist die Realität offensichtlich so stark, dass sie den Traum blockiert, etwa wenn der metaphysische Held Andreas Hofer erst im Traum zu seiner Höchstform an Heldenhaftigkeit findet.

Der Hofer habe im Traum aber keine Gnade gekannt und den Franzosen an einen Kastanienbaum mit der Schnellgeißel aufgehängt. (118)

Ab und zu legt sich auch ein Pfarrer zu einem Träumenden ins Bett und löst traumatische Stimmungen aus. Was bis vor kurzem noch als religiöser Schönheitstraum gegolten hätte, ist mittlerweile ein tagesaktueller Real-Traum geworden.

Der Traumklauber führt geduldig durch ein Reich, das uns tagtäglich berührt. Da er auf Beobachtungen und Erzählungen angewiesen ist, hat er ein feines Gehör entwickelt für alle Zwischentöne der Poesie. Wir Leser tauchen neugierig in diese Welt, lassen uns die seltsamsten Dinge erzählen und wechseln nur widerwillig wieder in die Realität zurück. Das ist ja das Zeichen einer guten Erzählung, dass man nur widerwillig sich daraus wieder herausschälen will.

Josef Oberhollenzer, Der Traumklauber. Eine Erzählung in 52 Träumen.
Wien, Bozen, folio 2010. 128 Seiten. EUR 18,80. ISBN 978-3-85256-510-1

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Josef Oberhollenzer: Der Traumklauber
Wikipedia: Josef Oberhollenzer

 

Helmuth Schönauer, 24-03-2010

Bibliographie

AutorIn

Josef Oberhollenzer

Buchtitel

Der Traumklauber. Eine Erzählung in 52 Träumen

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Folio

Seitenzahl

128

Preis in EUR

18,80

ISBN

978-3-85256-510-1

Kurzbiographie AutorIn

Josef Oberhollenzer, geb. 1955 im Ahrntal, lebt in Bruneck.

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