Hugo Ramnek, Der letzte Badegast

Buch-Cover

Seit dem letzten Mohikaner sind Berufsbezeichnungen mit dem Qualitätsmerkmal "letzte voller Melancholie und Morbidität".

Natürlich ist auch der letzte Badegast bei Hugo Ramnek umrankt von Geheimnissen. Die Saison ist nämlich schon gelaufen, und ehe sich alle einwintern, wuselt dieser seltsame Gast durch das Badegelände und macht alle verrückt.

Der Ich-Erzähler ist schon ziemlich müde, das ständige Klo-Putzen macht ihn fertig, von den Menschen hat er die Nase voll, und wenn er nicht aufpasst, kann er an jeder x-beliebigen Stelle einschlafen. Im Roman merkt man diese eingeschränkte Lebensfreude am eingezogenen Satzspiegel, immer wenn der Text dünner wird, befinden wir uns im eingeschränkten Kosmos des Bademeisters.

Der Badegast hingegen taucht breitspurig und folglich auch im breiten Satzspiegel auf. Er redet ununterbrochen, erklärt das Wesen des Schwimmens und die hohe Kunst des Springens, Plantschens oder Kraulens. Aber so realistisch seine Ausgangsüberlegungen auch sein mögen, immer wieder haut er ab in ein Reich der Phantasie, spricht von Seeräubern, Wasserkulturen und fernen Ozeanen voller Wellen.

Obwohl der Bademeister noch acht Tage absolvieren muss, an denen alles in Ordnung gebracht werden soll wie bei einem aufgeräumten Schöpfungsbericht, empfindet er alles als einen Tag nach dem letzten Tag.

Nach Saisonende gehe ich normalerweise nicht ins Freibad. Ich stehe unter dem Vordach. Ich schaue auf den See hinaus. Ein Wolkenschatten liegt auf der Liegewiese. Plötzlich ist die Sonne wieder da. Der Bademantel vorne auf dem Steg, der umgekippte Kübel beim Ufer, der Kranich draußen auf der großen gelben Fassboje: Ich sehe das alles nicht hintereinander sondern gleichzeitig. (9)

In diesem Beobachtungsambiente ist es leicht möglich, dass sich Halluzinationen oder sonstige Wahrnehmungsirritationen einschleichen. Vielleicht ist der letzte Badegast gar nicht von dieser Welt, sondern ein Stück Fleisch gewordene Fiktion. Vielleicht ist der Herbst-reife Bademeister auch schizophren und hat sich einen Teil des Dialogs im Hirn herunter gespalten. Jedenfalls arbeiten beide Erzählhälften an einer einsamen Geschichte: Wie kann man Sinn hineinbringen ins Schwimmen, Plantschen und Herumfuhrwerken an den eigenen Körperteilen.

Er begann sich einen ... raufzuholen. Ich habe nie verstanden, warum man das runterholen nennt. (81).

Immer wieder schläft der reale Teil offensichtlich ein, denn der geheimnisvolle Gast erzählt dann voller Stolz, wie er die notwendigen Arbeiten erledigt hat. Und so wie das erzählende Ich alles gleichzeitig sieht, erscheinen auch Kindheit, Ausbildung, Phantasie und Abenteuer semantisch völlig gleichrangig als der Ansatz zu einem Lebensprogramm.

Hugo Ramnek hebt mit dem letzten Badegast die logische Welt aus den Angeln. An einer Stelle des Herbstes, wo die Vegetation für dieses Jahr eingestellt wird, stellt sein Held die Tätigkeit ein und begibt sich in einen zeitlosen Schlaf der Erinnerung. Eine verrückt schöne Fiktion in der Fiktion.

Hugo Ramnek, Der letzte Badegast. Roman.
Klagenfurt: Wieser 2010. 140 Seiten. EUR 18,80. ISBN 978-3-85129-864-2

 

Weiterführende Links:
Wieser-Verlag: Hugo Ramnek, Der letzte Badegast

 

Helmuth Schönauer, 02-07-2010

Bibliographie

AutorIn

Hugo Ramnek

Buchtitel

Der letzte Badegast

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Wieser

Seitenzahl

140

Preis in EUR

18,80

ISBN

978-3-85129-864-2

Kurzbiographie AutorIn

Hugo Ramnek, geb. 1960 in Klagenfurt, aufgewachsen in Bleiburg, lebt in Zürich.

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