Bjarte Breiteig, Von nun an

Buch-CoverDas Leben unterliegt oft seltsamen Maßeinheiten, die biographischen Epochen dümpeln so dahin, und dann gibt es aus heiterem Himmel heraus eine Begegnung, die das Zeitgefüge durcheinander bringt.

Bjarte Breiteig beschreibt in seinen sieben Erzählungen solche Erlebnis-tektonische Haarrisse, die letztlich den Lebensfluss unterbrechen und das gesamte Programm in Frage stellen.

Die titelgebende Erzählung "Von nun an" berichtet von einem gewöhnlichen Mann, der sich auf den Weg ins Krankenhaus macht, um dort etwas an sich reparieren zu lassen. Die Anreise mit dem Nachtzug ist düster und diffus, irgendwie scheint der Zug aus der Realität hinauszufahren, zumal ein ehemaliger Mitschüler im Zug auftaucht, lange von der Schulvergangenheit quasselt und verschwindet, als der Mann mit seiner Frau telefoniert. Vielleicht ist diese Begegnung gar nicht geschehen, oder die Krankenhaus-Trance hat schon im Zug eingesetzt. Fakt ist freilich, dass das Gepäck des Verschwundenen übrig bleibt, das der Patient in Spe dann mitnimmt.

"Jetzt tanzen wir" handelt von einer abgelebten Beziehung. Im Kellergeschoss ist eine Fete im Gang, als die Frau einen psychischen Touch-Down produziert, indem sie sich plötzlich zu dick und wertlos fühlt. Der Mann entgleist bei der sexuellen Notnummer, und als die beiden atemlos in der Nacht übrig bleiben, sind die Gäste schon längst verschwunden.

"Menschen im Regen" warten auf das Begräbnis, die Stimmung ist dementsprechend. Die Leichenpfleger haben sich verspätet, weil sie die Begräbnisbluse nicht über den Leichnam der Verstorbenen bringen. Aus der Perspektive des Hilfs-Leichenpflegers fahren wir wie in einem Alptraum durch eine Szenerie, worin nichts gelingt. Während im Vorbereitungsraum die Hölle abgeht, stehen draußen die Menschen im Regen und warten auf den Beginn der Zeremonie.

"Für immer" ist auch so eine Fügung, die in Beziehungsdramen immer dann eine Rolle spielt, wenn die Probleme schon virulent sind. Ein Lover in England trifft sich mit seiner norwegischen Freundin, die ihm aber mitten in der Umarmung entschwindet. Als der Erzähler durch die leere Wohnung streift, stößt er auf einen Dildo, den er in Betrieb nimmt und so lange vibrieren lässt, bis die Batterien leer sind. (54) Jetzt ist die Beziehung aufgearbeitet und frei für ein neues Verhältnis.

Sie rollte sich im Bett zusammen. Sie schob mich nicht einmal beiseite, als ich mich hinter sie legte. Mit geschlossenen Augen presste ich mein Gesicht an ihren Nacken. Ich dachte daran, wie lange wir nun zusammen waren. Kaum mehr als ein paar Monate, aber mehrmals schon hatte ich mit dem Gedanken gespielt, sie zu fragen, ob sie mich heiraten wollte. (55)

Bjarte Breiteig erzählt ruhig, zurückgenommen und scheinbar unspektakulär. Fast scheint es, als wolle er die feinen Risse in den Biographien der Figuren mit der Lupe abklopfen, immer auf der Hut, den Riss durch das Erzählen nicht zu vergrößern. Alle diese Figuren sind Alltagshelden, eingespannt in die weite, ereignislose Landschaft der eigenen Seele, worin sich Temperatur und Licht kaum je ändern. "Schläfst du? flüsterte er. Ja, sagte sie." (33)

Bjarte Breiteig, Von nun an. Erzählungen. A. d. Norweg. von Bernhard Strobel. [Orig.: Folk har begynt a banke pa, Oslo 2006].
Wien: Luftschacht 2010. 106 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-902373-52-6.

 

Weiterführende Links:
Luftschacht-Verlag: Bjarte Breiteig, Von nun an

 

Helmuth Schönauer, 02-07-2010

Bibliographie

AutorIn

Bjarte Breiteig

Buchtitel

Von nun an

Originaltitel

Folk har begynt a banke pa

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Luftschacht

Übersetzung

Bernhard Strobel

Seitenzahl

106

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902373-52-6

Kurzbiographie AutorIn

Bjarte Breiteig, geb. 1974 in Kristiansand / Norwegen, lebt in Oslo.

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