Nicol Ljubic, Meeresstille
Zuerst der Wahnsinn, dann die Traumata, dann die Literatur. In der Literatur ist auch diese Vorgangsweise möglich. "Wie heißt das, wenn das Meer ruhig ist?" (11)
Nicol Ljubic reißt in seinem Roman quasi von hinten her alle Wunden und Alpträume auf, welche beim Zerfall Jugoslawiens entstanden sind. In einer Eingangssequenz wird das Kriegsgerichtsverfahren in Den Haag erklärt, die Anklage gegen einen Kriegsverbrecher, die wichtigsten Daten zum Verbrechen.
Ab nun haben wir es mit einem seltsamen Mix aus Versöhnung, Verwundung und Verachtung zu tun. Im Publikumsbereich sitzt nämlich Robert, der sich die ganze Sache nur ansieht, weil er mit Ana verbandelt ist, die früher einmal etwas mit dem Angeklagten gehabt hat.
Was wie ein Triangel der Liebesbeziehung aussieht, hat natürlich politische Dimensionen, Serben, Kroaten, Muslime, weiß der Kuckuck was, haben Massaker durchgeführt oder durchgemacht, allein schon die Aufzählung der Beteiligten kann als politisches Urteil gelten.
Im Gerichtsverfahren werden streng nach Protokoll die Handbewegungen und mechanisch überprüfbaren Handlungen im Verlaufe des Massakers abgefragt. Wer hatte was an, wer schaute wohin, wer hörte einen Befehl, warum sind am Ende alle tot?
Robert, sonst wäre es ja kein Roman, muss Shakespeare lieben und für uns Leser dessen Mords-Dramen für uns deuten. Gleichzeitig muss er seine Geliebte Ana aus der Schusslinie der Erinnerung bringen, indem er mit ihr redet und redet.
Am ehesten gelingt dies mit der Meeresstille. Zwischen zwei Stürmen liegt ja diese liebes-umsäuselte Ruhe, die uns nicht nur politisch unheimlich ist.
Nicol Ljubic erzählt seine Sache tapfer und konstruiert ausgewogen. Wenn jetzt ein Leser nichts vom Zerfall Jugoslawiens versteht, ergeht es ihm wie beim Roman Schlagschatten von Alois Vogel. Da sitzen im Österreich 1934 Nazi-Bua, Sozi-Vater und Dollfuß-Indianer im Wiener Gemeindebau, essen was und führen dann gegen einander Krieg. So dürfte es in Jugoslawien gewesen sein. - Meeresstille ist natürlich ein heimtückisch friedlicher Roman.
Nicol Ljubic, Meeresstille. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2010. 191 Seiten. EUR 17,50. ISBN 978-3-455-40116-5.
Weiterführende Links:
Verlag Hoffmann und Campe: Nicol Ljubic, Meeresstille
Wikipedia: Nicol Ljubic