Ljubko Deresch, Die Anbetung der Eidechse

Buch-CoverGanz weit draußen in der Provinz wird die Welt bloß noch eingeteilt in Hitze und Erschlaffung.

In Ljubko Dereschs Roman Die Anbetung der Eidechse verlaufen sich ein paar Jugendliche in der Weite der Karpaten und versaufen und verlaufen sich in dem kleinen Ort Midni Buky. Die Hitze wird nahezu unerträglich, sie wird noch verstärkt durch Pop-Musik, die aus allen Poren und Kassetten-Recordern dringt.

Die Stimmung ist auf den ersten Blick unpolitisch, alle sind aus dem bestehenden Wertesystem ausgestiegen und wenden sich ausschließlich sich selbst und der Musik zu. Natürlich tragen alle ihre Spitznamen mit Stolz, der Glatte Hippie etwa hat wegen einer Hautkrankheit noch keinen richtigen Bartwuchs, dafür aber große Aussteiger-Kompetenz.

In abgehackten Gesprächen, worin die Logik des Zufallsprinzips herrscht, erfahren wir Leser zwischendurch, wie so der Alltag am Rande der Ukraine abläuft. In der Hauptsache geht es darum, den jeweiligen Tag irgendwie zu organisieren und über die Bühne zu bringen.
Ein Feindbild stellen die Moskau-Menschen dar, sie haben nicht nur das Land mit ihrem Kommunismus ruiniert, sondern ruinieren es jetzt abermals mit dem Neo-Kapitalistischen Hammer.

Aber auch Österreich kommt in der Entfernung der Erinnerung nicht nur gut weg, immerhin haben die Österreicher einst den Ort ausgebeutet und fertig gemacht.

Es kamen die Österreicher und industrialisierten, was das Zeug hielt. Und innerhalb von vierzig Jahren haben sie bis zum letzten Körnchen alles herausgeholt. Damals wurde Lypynzi in Midni Buky umbenannt und viele österreichische Herren sind in diese blühende Provinz gezogen. Verstehst du, unsere Stadt erlebte einen Höhenflug, nicht wie jetzt - ein Dorf ohne Dorfrat. (65)

Als die Hitze in Midni Buky nicht mehr zum Aushalten ist, wandern die Jugendlichen in den Wald und geben sich den Pfadfinderfreuden hin. Der Ich-Erzähler Misko erlebt dabei mit seiner frisch angeliebten Dswinka erotische Eskapaden, dass ihm Hören und Sehen und sogar die Sprache vergeht.

In einem klugen Rausch aus Sehnsucht, Gelassenheit, Scheiß-di-nix und musikalischer Erektion vergehen so die letzten Monate einer Pubertät, die offensichtlich auch das ganze Land gerade durchmacht. Die Zukunft ist eröffnet, die Gegenwart ist anstrengend, selbst wenn man aus ihr aussteigt, aber der Sog des Lebens zieht eindeutig nach vorne. - Eine deftige, witzige und vollkommen ausgelassene Story über ein junges Land, das mit beiden Beinen in der Startmaschine steckt.

Ljubko Deresch, Die Anbetung der Eidechse Oder Wie man Engel vernichtet. Roman. A. d. Ukrain. von Maria Weissenböck. [Orig.: Pokloninnja jascirci. Jak nyscyty anheliv, Lwiw 2004].
Frankfurt/M: Suhrkamp 2006. ( = es 2480). 200 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-518-12480-2.

 

Weiterführende Links:
Wikipedia: Ljubko Deresch
Suhrkamp-Verlag: Ljubko Deresch, Die Anbetung der Eidechse …

 

Helmuth Schönauer, 20-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Ljubko Deresch

Buchtitel

Die Anbetung der Eidechse Oder Wie man Engel vernichtet

Originaltitel

Pokloninnja jascirci. Jak nyscyty anheliv

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Maria Weissenböck

Seitenzahl

200

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-518-12480-2

Kurzbiographie AutorIn

Ljubko Deresch, geb. 1984, lebt in Lemberg.

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