Christine Dobretsberger (Hrsg.), Polizisten weinen nicht

Buch-CoverOk, Polizisten weinen nicht, im Sinne der Gender-Semantik kann getrost angenommen werden, dass Polizistinnen auch nicht weinen.

Im Polizisten-Reader kommen ausnahmsweise die Gefühle bei Amtshandlungen zur Sprache. Von der Journalistin und "Ghostwriterin" Christine Dobretsberger wurden pensionierte und traumatisierte Beamte angespornt, die Gefühle bei ihren jeweils spektakulärsten Fällen in Form von Reimgedichten oder Erlebnisaufsätzen darzustellen.

Für die Leser ergibt sich eine flotte Lektüre mehr oder weniger bekannter Kriminalfälle, die aus der Innensicht der Aufräumer, Spurensicherer oder Schussgebrauchs-Beamten dargestellt werden. So wundert sich ein Beamter über die penible Ordnung, die ein Selbstmörder hinterlassen hat, gleich am Eingang der Wohnung eine Pin-Notiz mit der Warnung, dass die Beamten jetzt etwas Schreckliches sehen werden.

Ein anderer kümmert sich fast liebevoll um einen etwas schwierigen Jugendlichen, den er wie seinen Sohn betreut. Trotzdem rastet der Jugendliche eines Tages aus und begeht einen Mord. Ein anderer Beamter versetzt sich, während er aufgegriffene Asylwerber im Lager abliefert in die Lage eines Fremden in einem fremden Land. Wie würde es wohl ihm ergehen, wenn er an der afghanischen Grenze aufgegriffen würde?

Eine der wenigen Polizistinnen berichtet von ihrem Kosovo-Einsatz, der ziemlich an der Psyche zerrt und an manchen Tagen die Frage nach dem Sinn aufkommen lässt. Mit dem Sinn von Einsätzen und Handlungen befassen sich mehrere Geschichten, etwa wenn ein Beamter erschrickt, weil er einen Zivilisten angeschossen hat, und dann aber erleichtert ist, dass sich der Zivilist als der gesuchte Verbrecher ausgibt.

Manchmal zieht ein Schusswaffengebrauch eine tiefe Depression nach sich, so quittiert ein Polizist nach einem Großeinsatz den Dienst, während sich sein Kollege im Dienst durchfretten will, aber der psychische Druck wird schließlich zu groß, der Kollege erschießt sich. (86)

Manchmal darf auch etwas aus dem Thema Seitenblicke ein Polizisten-Gefühl auslösen. So soll der Pop-Sänger Joe Cocker wegen Betrugsverdacht verhaftet werden. Das Bild geht durch alle Zeitungen und zeigt auch einen Polizisten, der die Verhaftung durchführt. Dieses Bild ist für den Beamten der Höhepunkt der Karriere, während man Joe Cocker Mangels an Beweisen gleich wieder laufen lässt.

Polizisten weinen nicht ist eine amüsante und süffisante Darstellung von der Hinterseite der diversen Amtshandlungen. In einer Nachbemerkung schreibt ein Oberstleutnant, der den Band befürwortet, dass letztlich nur die niederen Chargen etwas zu erzählen hätten, weil sie im Leben und im Alltag stünden. "Je höher die Position, desto weniger erlebt man". Das ist vielleicht der wichtigste Satz des Buches.

Christine Dobretsberger (Hg), Polizisten weinen nicht. Der Mensch hinter der Uniform.
Wien: Molden 2010. 208 Seiten. EUR 19,95. ISBN 978-3-85485-9.

 

Helmuth Schönauer, 06-09-2010

Bibliographie

Buchtitel

Polizisten weinen nicht. Der Mensch hinter der Uniform

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Molden

Herausgeber

Christine Dobretsberger

Seitenzahl

208

Preis in EUR

19,95

ISBN

978-3-85485-262-9

Kurzbiographie AutorIn

Christine Dobretsberger, langjährige Kulturredakteurin in der Wiener Zeitung ist Journalistin und Ghostwriterin.