Peter Paul Wiplinger, Schriftstellerbegegnungen 1960-2010

Buch-CoverWie jede Geschichte ist auch die Literaturgeschichte etwas äußerst Unruhiges, das ständig neu geschrieben werden muss. Eine recht aufregende Form, sich dem literarischen Geschehen einer Epoche zu nähern, ist die Präsentation von Insider-Wissen mit persönlicher Note.

Zum Unterschied vom Börsenhandel, wo Insider-Geschäfte streng verboten sind, ist der Austausch von geheimnisvollen Botschaften untereinander das Lebenselixier der Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

Peter Paul Wiplinger lässt Begegnungen aus einem halben Jahrhundert Revue passieren. Obwohl der Großteil der erinnerten Personen bereits tot ist, ist das Buch dennoch ein riskantes Unterfangen, denn letztlich wollen alle Beteiligten gnadenlos geliebt und gewürdigt werden.

Peter Paul Wiplinger löst dieses Problem mit Pfiff und Altersweisheit. Er lobt literarische Giganten oft an einer unbedeutenden Stelle und würdigt ihre literarischen Vergehen durch gnädiges Übergehen. So kommen vor allem jene Autorinnen und Autoren zum Zug, die ein politisches Rückgrat haben und angesichts politischer Schweinereien durchaus auch für ihre Meinung Schaden und Totschweigen in Kauf nehmen.

Den geschwätzigen Erfolgsautoren geht er elegant aus dem Weg und lässt sie samt ihrem Morbus Bestselleritis im Regen des Smalltalks stehen, dafür gibt es exklusive Nachrichten aus dem legendären Cafe Sport in Wien oder von den unsäglich bürokratischen Zusammenkünften von PEN-Mitgliedern.

Der PEN-Club zieht sich wie ein rotes Tuch durch das Begegnungsbuch, immer wieder lässt sich erahnen, dass auf diesen Tagungen voller Referate und Phrasen manches ohne Rückgrat abgelaufen ist. Eine bemerkenswerte Art, die Wahrheit zu formulieren, lässt sich etwa in der Schluss-Sequenz zu Gertrud Fussenegger finden:

Alles was irgendwie "links" war oder nach "Revoluzzertum" roch oder die "Ordnung" in Frage stellte, verabscheute sie. Katholizismus und Konservativität - "reaktionär" nannten wir diese Mischung - passten gut bei ihr zusammen. Auch wenn man in jungen Jahren für die neue Bewegung, die NSDAP und den Führer war. Aber das durfte man damals und darf man heutzutage ja nicht mehr sagen. Jedenfalls war Gertrud Fussenegger ein langes Leben geschenkt; sie ist fast 100 Jahre alt geworden. Und natürlich gebührt ihr Respekt und Pietät; die Wahrheit aber auch. (82/83)

Für uns Leser tun solche Kommentare eines Zeitzeugen gut, denn gerade von Fussenegger kennen wir nur die Tatsache, dass man bereits zu Lebzeiten wie etwa in Telfs Straßenzüge nach ihr benannt hat.

Die Autorinnen und Autoren sind unbestechlich alphabetisch aufgefädelt vom unbekannten Gerd Adolff über die üblichen Alphabets-Beginner Tschingis Aitmatow und Gennadij Ajgi bis hin zum ewig letzten Joseph Zoderer, über den es heißt:

Wahrscheinlich sind wir uns schon in den ganz frühen Sechzigerjahren über den Weg gelaufen, nämlich an der Universität Wien, wo wir zur selben Zeit Theaterwissenschaft und Philosophie studierten. Wir haben uns aber nicht als Autoren wahrgenommen, weil wir beide solche noch gar nicht waren. (332)

Peter Paul Wiplingers "Schriftstellerbegegnungen" ist eine wundersam individuelle Schatzkiste aus einem literarischen Halbjahrhundert. Jeder Eintrag regt dazu an, loszulegen im Nachlesen, Nachforschen und Wieder-zu-Gemüte-Führen.

Peter Paul Wiplinger, Schriftstellerbegegnungen 1960-2010.
Klagenfurt: Kitab 2010. 350 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-902585-61-5.

 

Helmuth Schönauer, 01-12-2010

Bibliographie

AutorIn

Peter Paul Wiplinger

Buchtitel

Schriftstellerbegegnungen 1960-2010

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Kitab

Seitenzahl

350

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-902585-61-5

Kurzbiographie AutorIn

Peter Paul Wiplinger, geb. 1939 in Haslach, Gymnasium in Hall in Tirol, lebt in Wien.