Jürgen Lagger, Città morta

Buch-Cover

Rom ist vermutlich eine ganz seltene Stadt, sie ermöglicht es nämlich wirklich jedem, völlig vereinzelt und in Einzelhaft darin auf- und abzutreten. Jürgen Lagger lässt unter dem Titel Città morte keinen Zweifel aufkommen, hier betritt jemand die Stadt, um darin zu sterben.

Am Hauptbahnhof wird der Erzähler in die Stadt gespült und sofort von zwei Leitmotiven festgekrallt: Wie können mich die ewig gleichen Motive dieser ewigen Stadt fesseln? Wie kann ich in dieser zeitlosen Stadt Fuß fassen.

Die Antworten werden in einem lyrischen Parforce-Ritt durch alle Führer, Ratgeber und historischen Unterlagen gegeben, die Sätze verkrümeln sich zu einem Sekundenstil und schlagen dann wie Peitschenhiebe aus dem Text zurück. Dabei ist der Zugang zu diesem Seelengebäude aus Lyrik-Lego so knapp und einprägsam, wie es vielleicht in Rilkes Cornet zugeht.

Der Erzähler steigt aus dem Zug, wo eine Tunte Aufmerksamkeit verströmt hat und lebt sich auf dem Weg zum Taxi in den Sekundenstil der Impressionen ein.

Und ich, im Grunde festgezurrt als blöde Boje / der Kontakt zwischen mir und der Stadt / finde mich zappelnd inmitten einer unüberwindlichen Flut verschwitzt zerknitterter Leiber wieder. (9)

In der Folge versuchen die Straßenkünstler auf dem Weg zur Absteige die ewig gleichen Motive, an den Mann zu bringen (46), aber es gelingt eben alles nur ein bisschen und kommt nur zur Hälfte ins Licht (54).

Nach dem Einchecken in der Absteige flaniert der Erzähler durch die Stadt, die Kunst verursacht oft knurrende Unlust, weil sich alles nur an der Oberfläche abspielt. (57)

Erst als eine Gruppe Jugendlicher homoerotisch ihre Pullover tauscht und mit dem Haargel spielt, wird es ernst. Plötzlich ist er da, dieser Zustand der Erotik, der sich vielleicht nur abarbeiten lässt aber nicht erklären.

Ein Platz liegt in sonnenloser Schwüle und Erzähler und Partner umkreisen einander mit erregtem Geschlecht (138). Die Sprachen überlappen gerade einmal ein wenig, dann kommen die Körper zum Einsatz, modelliert wie Kunstfiguren. Kein schräges Wort fällt in echter Erotik, Pasolini, Thomas Mann und Josef Winkler halten still ihre Patenschaft-Fahnen für diese Begegnung, nach der es offensichtlich nur mehr den Tod zu erwarten gilt.

Tatsächlich versucht der Erzähler nach sechs Episoden zu sterben, wie in der Kunst vorgesehen, aber es ist nicht leicht. Denn es kommt zu dieser unvergesslichen Erkenntnis:

Es stirbt sich nicht so leicht heraus aus dieser Welt. (175)

Jürgen Lagger hat in einem mitreißenden Wahnsinnsakt einen Rom-Roman über Kunst, Klischee und persönliche Verlorenheit geschrieben. Seine Sätze hat er dabei aufgefädelt wie Inschriften, die keinen Anfang und kein Ende kennen. Wo immer der Leser hineinschlägt mit dem Auge in den Text, stößt er auf Sätze, die nicht mehr weggehen.

Das Bauwerk wäre vom Verkehr getrieben an den Rand gedrängt. (107)

Jürgen Lagger, Città morta. Roman
Innsbruck: Edition Laurin bei innsbruck university press iup 2011, 175 Seiten, 16,90 €, ISBN 978-3-902719-92-8

 

Helmuth Schönauer, 08-03-2011

Bibliographie

AutorIn

Jürgen Lagger

Buchtitel

Città morta

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Edition Laurin bei innsbruck university press

Seitenzahl

175

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-902719-92-8

Kurzbiographie AutorIn

Jürgen Lagger, geb. 1967 in Villach, lebt in Wien.

Themenbereiche