Andrej Longo, Sahras Mörder

Buch-Cover

Mittlerweile hat das Genre Krimi die Literatur bereits dermaßen im Putsch übernommen, dass kaum noch jemand daran denkt, dass es jenseits des Krimis auch noch spannende Literatur geben könnte.

Unter dem Titel Sarahs Mörder erwartet man sich einen mehr oder weniger blutigen Krimi, zumal ja im Nobelviertel Neapels gleich zu Beginn die tote Sarah zu liegen kommt. Aber bei Andrej Longo geht es um etwas ganz anderes. Wie kann man den Dschungel Neapel aushalten, wie diese Hitze, wie dieses soziale Dickicht, in dem sich jeder Außenstehende im besten Falle blutige Finger holt?

Die Geschichte von Sarahs Tod läuft am jungen Polizisten Acanfora vorbei. Zwar nimmt er manchmal Daten auf, verhört zwischendurch jemanden oder überprüft ein Alibi, aber die entscheidenden Schritte setzen immer die Vorgesetzten. Dafür wird der junge Polizist zu Hause von seiner Mama bekocht, bis er es schier nicht mehr aushält.

Im Fall geht nichts weiter, jeder x-Beliebige wird aus Verzweiflung verdächtigt, und als einer einmal falsch grinst, gibt es eine Verfolgungsjagd durch den tiefsten Slum. Wie kann man in so einem Loch wohnen, fragt der Polizist den Nächstbesten, durch dessen Wohnung er gerade atemlos getrampelt ist.

Der vorgesetzte Commissario leidet immer noch an einem fehlgeschlagenen Einsatz, bei dem seine Geliebte neben ihm erschossen worden ist. Seither trinkt er ununterbrochen Tee aus einer Whisky-Flasche, wer?s glaubt. Zwischendurch gibt es eine Verfolgungsjagd per Auto, es ist stets unklar worum es eigentlich geht.

Wir wirbelten so viel Staub auf, dass wie die Fenster zumachen mussten, um nicht alles total einzusauen. Um uns rum überall Müll, Kühlschränke, Waschmaschinen und kaputte Fernseher. Ab und zu sah man ein Feld und Leute in der Sonne bei der Ernte. Sogar eine Nigerianerin im Mini sahen wir, die auf Kundschaft wartete. Und einen Wohnwagen ohne Räder, in dem einer wohnte. (85)

Als man als Leser schon längst vergessen hat, worum es eigentlich geht, wird Sarahs Tod letztlich doch noch aufgeklärt, die Lösung darf hier nicht verraten werden.

Andrej Longos Neapel-Roman ist voll von Hitze und kurzen Wortwechseln. Die Figuren haben den großen Sinn schon längst abgelegt und sind unter das Dach eines kurzatmigen Lebensstils geflüchtet, dessen Maßeinheit das Alltagsgeschäft ist. Arm und Reich leben natürlich in verschiedenen Sphären, aber die schwere Last der Überlebensgeschichte in Reichweite des Vesuv lässt sie alle keine großen Träume ausspucken. - Ein melancholisch-realistischer Hitze-Roman!

Andrej Longo, Sahras Mörder. Roman, a. d. Ital. von Constanze Neumann [Orig.: Chi ha ucciso Sarah? Mailand, 2009]
Frankfurt / M.: Eichborn Verlag 2011, 191 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-8218-6108-1

 

Helmuth Schönauer, 13-04-2011

Bibliographie

AutorIn

Andrej Longo

Buchtitel

Sahras Mörder

Originaltitel

Chi ha ucciso Sarah?

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Eichborn Verlag

Übersetzung

Constanze Neumann

Seitenzahl

191

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-8218-6108-1

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Longo , geb. in Foria auf Ischia, lebt in Neapel, Ischia und Rom.

Themenbereiche