Mareike Krügel, Bleib wo du bist

Es gibt diese Seelenlandschaften, die selbst einen Psychiater in die Knie zwingen. Meran und die sanfte Umgebung drum herum gelten als besonders feinfühlige Landschaftskissen, in denen die gequälte Psyche wie von selbst zu sprechen beginnt.

In Mareike Krügels Psychiater-Roman „Bleib wo du bist“ tagt im feinem Kongress-Ambiente von Meran eine psychiatrische Gesellschaft, mit dabei ist auch Matthias Harms, Psychiater für Zwangsneurosen.

Offensichtlich kann dieser Neurosen-Fachmann auch in Meran nicht abschalten, denn noch während er sich an Speckungetümen und gigantischen Vinschger Broten so groß wie Autoreifen erfreut, wird er schon von einem Klienten aus seiner Heimatstadt im Norden angerufen, der ihm mitteilt, dass er die Klientschaft beendet.

Eingepfercht zwischen Kongresssälen mit so witzigen Namen wie Haflinger oder Similaun säuft sich Harms vorerst einmal an, um seinen Sud per SMS zu Hause mitzuteilen, ehe das Handy verreckt.

Am nächsten Tag pfeift der Psychiater auf den Kongress und geht seinen eigenen Neurosen nach. Er trifft auf der Promenade ein verlorenes Kind, das sich an die schlaue Weisheit hält, „dass man immer bleiben muss wo man ist, wenn man von den Eltern gefunden werden will“. (42) Die Mutter des verlorenen Kindes stellt bald darauf eine Verbindung zur Kindheit von Harms her, beinahe wären sie über eine kurze Liebschaft verwandt geworden.

In der Folge geht die Kindheit nicht mehr aus dem Kopf des Helden, so sehr er auch durch die Gegend spaziert. Seine Schwester ist bei einem Autounfall getötet worden, das hat die Familie trotz aller Therapien nie überwunden.

Und dann wird es romantisch schicksalhaft. Der Psychiater stürzt ab, aber bricht sich nichts, obwohl man in solchen Lagen immer alles bricht, was wie ein Knochen ausschaut. (167) Irgendwie geht diese Nacht im Freien zwischen Mond und Sonne, Kindheitserinnerung und psychiatrischem Eigen-Attest halbwegs über die Bühne. Am Morgen entdeckt er auf der Promenade, dass er sich schon wieder selber riechen kann. (223)

Im Hotelzimmer wartet besorgt seine Frau, es lässt sich alles reinigen und regeln, und der Kongress kann sauber im üblichen Rahmen fortgesetzt werden.

Mareike Krügel erzählt romantisch von einem Knick des Helden, der in schöner Kongress-Umgebung freigelegt wird wie eine Eintrübung bei Adalbert Stifter. Die Psychiatrie ist eine passable Lebensform, die ein eigenes Ritual entwickelt, den Anwender aber oft nicht vor sich selbst schützen kann.

Mareike Krügel, Bleib wo du bist. Roman.
Frankfurt/M: Schöffling 2010. 232 Seiten. EUR 19,50. ISBN 978-3-89561-074-5.

Weiterführende Links:
Schöffling-Verlag: Mareike Krügel, Bleib wo du bist
Wikipedia: Mareike Krügel


Helmuth Schönauer 23/01/12

Bibliographie

AutorIn

Mareike Krügel

Buchtitel

Bleib wo du bist

Erscheinungsort

Frankfurt a. M.

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Schöffling

Seitenzahl

232

Preis in EUR

19,50

ISBN

978-3-89561-074-5

Kurzbiographie AutorIn

Mareike Krügel, geb. 1977 in Kiel, lebt in Schleswig.

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