Werner Raith, Falsche Beute
Laura, die fünfzehnjährige Tochter eines Baustofffabrikanten, wird eines Abends auf dem Heimweg in Florenz entführt.
Nachdem sie von ihren Entführern zunächst in den Kofferraum gesperrt wird, findet sie sich in einer dunklen Höhle im Süden Italiens wieder.
Als sie klarzumachen versucht, dass ihr Vater nicht nur kein Geld hat, sondern sogar in finanziellen Schwierigkeiten stecke, bedrohen sie die Entführer. Mehrere Monate lang wird Laura festgehalten und versuchen die mit Masken vermummten Entführer von ihren angeblich reichen Eltern Lösegeld zu erpressen. Während dieser Zeit lebt sie mit ihnen auf engstem Raum zusammen und lernt vor allem einen der Entführer immer besser kennen: den Raucher.
Plötzlich wird sie an eine andere Gruppe von Entführern verkauft, die sie in eine entlegene Berghütte verschleppen, wo sie dann bald durch eine großangelegte Suchaktion der Carabinieri befreit werden kann. Die Suchaktion hatte aber nicht ihr gegolten, sondern einem ebenfalls entführten Mädchen Namens Claudia Mestello, die später ermordet aufgefunden werden wird.
Endlich wieder frei, wird sie vom Staatsanwalt über die Entführung befragt. Dabei gerät die Rolle die ihr Vater während der Entführung gespielt hat zunehmend in ein schiefes Licht. Vor allem nachdem er versucht, sie auf die Befragungen vorzubereiten, gerät sie mit ihren Antworten in immer größere Widersprüche.
"Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Ihr Vater Ihr Verschwinden nicht sofort bei der Polizei gemeldet hat?? Laura war überrascht. "Das höre ich zum ersten Mal?, sagte sie. Der Staatsanwalt fixierte sie scharf. "Wieso? Wussten Sie das nicht?? "Nein.? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Noch weniger darauf, warum weder der Vater noch die Mutter das je erwähnt hatten. "Sind Sie sicher?? "Absolut.? "Und er hat es Ihnen auch hinterher nicht gesagt?? "Nein, nie.?
Der Staatsanwalt diktierte, dann wechselte er das Thema. "Die Leute, die Sie angriffen, kannten Sie die?? "Natürlich nicht.? "Was heißt hier ?natürlich??? Der legte aber auch jedes Wort auf die Goldwaage. "Ich meine, dann hätte ich Ihnen doch längst gesagt, wer sie waren.? "Nein.? "Keinen von ihnen?? "Nein, nein.? "Ein Nein genügt, Signorina.? Warum zum Teufel fragte er dann dreimal nach? Worauf wollte dieser Mann nur hinaus? "Es kam Ihnen auch keiner bekannt vor?? "Was war das nun für ein Unterschied?? "Nein.? "Denken Sie nach. Wenn ich frage, ob Ihnen einer bekannt vorkam, dann meine ich, ob er jemandem ähnelte, den Sie kennen.? "Ach so. Nein, nein, ich glaube nicht.?"
"Was heißt: Sie glauben nicht? Hatte einer Ähnlichkeit mit jemandem den Sie kennen, oder nicht??" Laura merkte, wie ihr allmählich die Nerven versagten. Wenn es jetzt, bei den allerersten Fragen, schon so kompliziert war, wie würde es dann erst werden, wenn sie alles über die Höhle und das andere Versteck erzählte, über das Essen, das sie bekommen hatte. (aus: Werner Raith, Falsche Beute)
Als ihr Vater schließlich verhaftet wird und auch sie und ihre Mutter einen Haftbefehl erwarten müssen, verliert sie die Nerven.
Die wahre Geschichte über die Entführung eines Mädchens in Italien liest sich von Anfang bis zum Ende voller Spannung. Es sind vor allem die überraschenden Wendungen, die beim Lesen dieses verzwickten Entführungsfalls fesseln. Raith legt seinen Schwerpunkt auf die psychologische Schilderung seiner Heldin.
Detailliert werden ihre Ängste während der Entführung geschildert, aber auch ihr Verständnis für die soziale Not ihrer Entführer. Besonders aber ihre zunehmende Isolierung nach ihrer Befreiung und die Infragestellung ihres Verhältnisses zu ihrem Vater gelingt es Raith glaubhaft zu vermitteln. 'Falsche Beute' ist ein Buch, das nicht nur Jugendlichen spannende Lesestunden verspricht.
Werner Raith, Falsche Beute. Jugend-Roman, ab 14 Jahren
München: Elefanten Press 2002, 157 Seiten, 13,40 €, ISBN 3-570-14622-7
Andreas Markt-Huter, 20-09-2004