Herta Kratzer, Die Irrfahrten des Odysseus

Selten haben die Erlebnisse eines Helden so viele Menschen interessiert, wie die Abenteuer des Odysseus, die in unzähligen Übersetzungen und Nacherzählungen in Kinder- und Jugendbücher zu finden sind.

Hertha Kratzer verändert die ursprüngliche Dramaturgie der Odyssee und bettet Die Irrfahrten des Odysseus in den großen Mythenkreis rund um den Trojanischen Krieg ein. Der erste Teil des Buches "Ein verhängnisvolles Urteil" erzählt von den Ursachen des Krieges, vom Urteil des Paris und dem Raub der Helena, der schließlich zum Kriegszug der Griechen gegen Troja führt.

Vor Troja erleben wir den Streit des Achilles mit dem Heerführer Agamemnon um die schöne Sklavin Briseis und den anschließenden Zorn des Helden, der mit dem Tod des Patroklos endet. Wir erleben die Rache des Achilles am trojanischen Prinzen Hektor und seinen Kampf gegen Penthesilea, die Königin der Amazonen und schließlich den Tod des Helden. Die Geschichte vor Troja endet mit dem Raub des Palladiums und der List mit dem hölzernen Pferd, die schließlich zum Untergang Trojas führt.

Nach dem Untergang Trojas erfahren wir vom weiteren Schicksal der griechischen Helden, vom Tod des Aias, der Heimfahrt des Menalaos mit seiner Frau Helena und von der Ermordung Agamemnons durch seine Frau Klytämnestra.

Von nun an stehen die Heimfahrt und die Abenteuer des Odysseus im Mittelpunkt der Darstellung. Aber auch hier verlässt die Erzählung den Aufbau von Homers Odyssee. Odysseus Sohn Telemach, macht sich auf die Suche nach seinem Vater, der vor zwanzig Jahren nach Troja ausgezogen war. Mit dem Schiff macht sich Telemach auf den Weg nach Pylos zu Nestor und zu Menelaos nach Sparta, um Nachrichten über seinen Vater zu erhalten, der inzwischen, als Bettler verkleidet in Ithaka angekommen ist.

Gemeinsam mit seinem Sohn nimmt Odysseus blutige Rache an den überheblichen Freien. Odysseus gibt sich seiner Frau Penelope zu erkennen und erzählt ihr vom Krieg und von seinen abenteuerlichen Erlebnissen während seiner Irrfahrten.

Es heißt, dass der Kampf um Troja grausam war. Ja, er war grausam, wir die Kämpfer waren grausam, so sehr, dass sich die Götter empörten und uns bestraften. Wir waren so langen von unseren Frauen und Kindern getrennt gewesen, dass wir gar nicht merkten, wie unsere Herzen erkalteten und uns nur mehr die Hitze des Gefechts erwärmte. (115)

Mit einem geschickten Kunstkniff lässt sie im zweiten Teil des Buches Odysseus seine Abenteuer während der Heimfahrt noch einmal seiner Frau erzählen. Und so bildet die  sagenhafte Schilderungen über die Lotosesser, den Zyklopen Polyphem, die Laistrygonen, den Gang des Odysseus in die Unterwelt, die Siren u.a. eine abgeschlossene Einheit.

Herta Kratzer gelingt es geschickt, eine alte Geschichte, die schon unzählige Male erzählt worden ist, neu einzukleiden, ohne den Inhalt zu verändern. Für alle Leserinnen und Leser, die mit der griechischen Mythologie nicht so vertraut sind, bietet die Erzählung die wunderbare Möglichkeit gleich das ganze mythologische Umfeld des Odysseus kennen zu lernen. Eine überaus gelungene Auseinandersetzung mit einem alten Thema der Weltliteratur, die nicht nur allen jungen Leserinnen und Lesern weiterempfohlen werden kann.

Herta Kratzer, Die Irrfahrten des Odysseus. Ab 12 Jahren
Wien: Ueberreuter-Verlag 2010, 144 Seiten, 26,50 EUR, ISBN 978-3-8000-5525-8
 

Weiterführende Links:
Wikipedia: Hertha Kratzer
Ueberreuter-Verlag: Herta Kratzer, Die Irrfahrten des Odysseus

Andreas Markt-Huter, 14-04-2010