Johanna Nilsson, Ich hau erst mal ab
Janis ist siebzehn und hat gerade miterleben müssen, wie ihre beste Freundin Emelie sieben ihrer Mitschüler und schließlich sich selbst vor ihren Augen erschießt. Völlig aus der Bahn geworfen von diesem existentiellen Erlebnis, packt sie ihre Sachen zusammen und fährt ziellos mit dem Auto ihres Bruders Richtung Norden los.
Während ihrer Fahrt in den Norden Schwedens lässt sie ihre Erinnerungen an Emelie Revue passieren und macht sich Vorwürfe, zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen zu sein und das zunehmende Leiden ihrer Freundin unter ihren Mitschülern zu wenig ernst genommen zu haben.
Sie wollte Ärztin werden, am liebsten Psychiaterin, denn dann könnte sie diese Idioten, die sie hassten, analysieren und hätte hoffentlich genügend Macht, um sie in fensterlose Gummizellen einzusperren. (11)
Auf ihrem Selbstfindungstrip kreisen ihre Gedanken immer wieder rund um jene Menschen, die ihr nahe stehen und oft so fremd erscheinen. Während sie ihren Bruder Elvis über alles liebt, fühlt sich Janis von ihren Eltern im Stich gelassen.
Trotzdem hoffe ich, dass sie mich ein klein wenig vermissen werden. Aber ich selbst weiß so wenig über sie. Sie sind mir alle beide ein Rätsel. Zu Hause waren es immer nur ich und mein Bruder. Wir zwei hielten zusammen. Die zwei hielten zusammen. Das geht mir, ehrlich gesagt, erst jetzt richtig auf. (26)
Als Janis in einer Bar eine Fahrtpause einlegt, gerät sie mit einer Gruppe von Fernfahrern in eine Auseinandersetzung, nachdem einer der Typen versucht hat sie zu begrapschen. Mit knapper Not gelingt es ihr mit dem Auto zu entkommen. Auf ihrer Weiterfahrt läuft ihr ein junges Reh ins Auto, das schließlich in ihren Armen stirbt. Der Amoklauf und anschließende Selbstmord den ihre Freundin Emilie vor ihren Augen begangen hat, lassen die 17-jährige nicht zur Ruhe kommen.
Die Überquerung eines reißenden, kalten Flusses wird der Wettkampfschwimmerin beinahe zum Verhängnis. Nur mit Mühe kann sie sich an Ufer retten, wo sie eine verlassene Blockhütte entdeckt. Nachdem sie alles Bier, das in der Hütte zu finden war, leergetrunken hat, fügt sie sich im Rausch eine so schwere Schnittverletzung zu, dass sie schließlich das Bewusstsein verliert und glaubt Jesus zu begegnen.
Der rettende Jesus entpuppt sich als der Aussteiger Morgan der mit seiner Frau Viola in einem Dorf aus kleinen Holzhäuser, Wohnwägen und Zelten mitten im Wald lebt. In diesem "Aussteigerdorf" lernt Janis den jungen Pianisten Jim kennen, der eine eigenartige Anziehung auf sie ausübt und in den sie sich schließlich verliebt. Aber auch Jim befindet sich auf der Flucht und verbirgt ein Geheimnis. Janis fühlt sich hin und hergerissen zwischen ihrem Drang nach Einsamkeit, um mit dem erlebten Schrecken fertig zu werden und ihrem Wunsch nach Geborgenheit und Liebe.
Johanna Nilsson Jugendroman Ich hau erst mal ab! ist die einfühlsam und scharfsichtig erzählte Geschichte der Auseinandersetzung einer Jugendlichen mit einer Umwelt, die durch eine Gewalttat auf den Kopf gestellt wird. Der Amoklauf ihrer Freundin und ihr Selbstmord werfen das Mädchen aus ihrem Lebensrhythmus und bringen ihr Fundament ins Wanken. Erst in ihrer Beziehung zu dem manisch-depressiven Jim findet Janis langsam wieder zu sich selbst zurück, indem sie beginnt, andere Menschen und deren Schicksal wieder wahr zu nehmen und sich selbst zu öffnen.
Vor allem die Beschreibung der Reflexionen, des Schmerzes und die Analyse der Beziehung des Mädchens zu ihren Eltern, ihrem Bruder, ihrer Freundin und dem Pianisten Jim wirken überaus authentisch und berühren. Ein Buch, das jugendliche Leserinnen und Leser sicherlich in seinen Bann zu ziehen vermag.
Johanna Nilsson, Ich hau erst mal ab! Übers. Birgitta Kicherer, ab 14 Jahren
Hamburg: Oetinger-Verlag 2010, 240 Seiten, 13,40 EUR, ISBN 978-3-7891-4333-5
Weiterführende Links:
Oetinger-Verlag: Johanna Nilsson, Ich hau erstmal ab
Wikipedia: Johanna Nilsson