Otfried Preußler - sein Leben und Werk

Vor einigen Wochen entschloss ich mich relativ spontan mit meiner 4. Klasse den Räuber Hotzenplotz als Klassenlektüre zu lesen.  Obwohl ich das Buch kannte, war ich von dem Riesenecho, auf das das Buch bei den Kindern stieß, überrascht. Denn bei der Auswahl dieses Buches habe ich nicht wirklich damit gerechnet,  mit einer Räuber - Kasperl - Seppel - Geschichte heutzutage die Zehnjährigen so zu begeistern.

Angesteckt von der Begeisterung der Kinder, nämlich auch der Wenigleser und Leselustlosen,  aber auch der Bücherwürmer, die eigentlich viel anspruchsvollere Bücher bzw. solche für schon größere Kinder lesen, begann ich über Otfried Preußler zu recherchieren. Dabei stellte ich zuerst fest, dass in den Auflagen, die ich zu Hause oder in der Schule hatte, außer einem einzigen Foto nichts über sein Leben oder Werk zu finden war.  Bei meiner Recherche im Internet stellte ich dann fest, dass es sich offensichtlich um eine persönliche Wenig-Information handelte, da es sogar eine eigene schön und ausführlich gestaltete Homepage gibt.

Was mich neben seinem Leben und Werk besonders interessierte, ist die Frage WAS bzw. WARUM seine Geschichten Kinder so ansprechen. Nimmt man z. B. das Buch Der Räuber Hotzenplotz, findet man darin die Figuren Kasperl, Seppel, die Großmutter, den Räuber, den Zauberer, die Fee  und den Wachtmeister. Alle haben einen eindeutig festgelegten Charakter:

  • Kasperl: klug und mutig, er will helfen und findet immer eine Lösung
  • Seppel: treuer Freund von Kasperl
  • Räuber: böse
  • Zauberer: böse, kann sich durch seine Zauberkünste alles herbeizaubern, nur das, was er am allermeisten hasst, nämlich Kartoffeln schälen, kann er nicht hexen
  • Fee: gut, wurde verhext in hässliches Tier, muss gerettet werden
  • Wachtmeister Dimpfelmoser:  Dorfpolizist, etwas doof.

Alle Figuren kann der Leser verstehen, er kann sie ablehnen oder lieben. Alle können eindeutig mit gut oder böse beschrieben werden. Fast haben die Personen einen märchenähnlichen Charakter. Ähnlich wie bei den Archetypen nach dem Psychoanalytiker C.G. Jung faszinieren die  Märchengestalten kulturübergreifend  Kinder auf der ganzen Welt.

Otfried Preußler erklärt das so:

Alle Kinder haben eine magische Phase, in der sie sich sehr ähnlich sind, ganz egal, wo sie leben. Menschenkinder, wohl bemerkt... Kleine, noch bildsame menschliche Wesen in der Startphase ihres Lebens. Neugierig auf die Welt. Voller Optimismus und Zutrauen in das Leben, das vor ihnen liegt. Noch sind sie im Vollbesitz jener magischen Kräfte der Phantasie, der zauberischen Durchdringung der Welt und ihrer Geheimnisse, wie sie der Menschheit auf einer frühen, vermutlich glücklicheren Stufe ihrer Entwicklung verfügbar gewesen sind, vor dem Sündenfall in den Rationalismus.

Wie erfolgreich sowohl seine Geschichten als auch seine Figuren sind, zeigt sich in den Otfried-Preußler-Schulen:

1976 wurde in Dilleburg die erste Schule nach ihm benannt, weitere Schulen folgten. Dort werden im heilpädagogischen Bereich, v. a. bei verhaltens-, sprech- und hörgeschädigten Kindern seine Geschichten und Figuren erfolgreich eingesetzt. Therapeuten und Psychologen nutzen diese auch in therapeutischer Arbeit mit Erwachsenen.

Sein Leben:

Otfried Preußler wurde am 20. Oktober 1923 im nordböhmischen Reichenberg geboren. Seine Vorfahren im Vorland des Iser- und Riesengebirges waren Glasmacher, Kleinbauern und Handwerker. Beider Elternteile waren Lehrer, und sein Vater war außerdem als Heimatforscher tätig.

Aus seiner böhmischen Heimat schöpfte Otfried Preußler seinen Erzählstoff. Oft begleitete er seinen Vater, der Sagen aus dem böhmischen Isergebirge zusammentrug, und hörte die Geschichten von Zauberern, Hexen, Wassermännern und Gespenstern. Sehr prägend und wichtig war auch seine Großmutter Dora, die in einem Dorf bei Münchengrätz wohnte. Ihr Vater hatte ein Schmiede und eine Herberge für Fuhrmänner. An den Abenden wurde dort - ähnlich wie bei den Brüdern Grimm - am Abend in den (Wirts-)Stuben viel erzählt, Sagen und Mythen weitergetragen. Die Geschichten, die die Großmutter Otfried und seinem Bruder erzählte, waren lustig und bunt, knüpften an Episoden an, waren frei weiterfabuliert und nahmen immer ein gutes Ende. Die Großmutter sagte den Kindern, ihr Geschichtenschatz entstamme einem dicken, alten Geschichtenbuch, das aber, wie sich später herausstellte, in Wirklichkeit gar nicht existierte.

1942 wurde Otfried Preußler nach seinem Abitur zum Kriegsdienst eingezogen und kam zum Einsatz an die Ostfront.

1944 gelangte er in sowjetische Kriegsgefangenschaft und verbrachte 5 Jahre in russischen Lagern. Heute arbeitet er an einem Buch über diese Zeit, es soll allerdings erst nach seinem Tod erscheinen.

Als er 1949 entlassen wurde, fand er seine Angehörigen und seine Braut aus Reichenberg - Annelies Kind - in  Rosenheim wieder. Die Hochzeit folgte im selben Jahr.

Otfried Preußler begann dann eine Pädagogische Ausbildung und arbeitete nebenbei als Lokalreporter und schrieb Geschichten für den Kinderfunk. Nach seiner Ausbildung arbeitete er als Volksschullehrer und war bis 1970 im Schuldienst tätig.

Er lebt (noch immer) in der Nähe von Rosenheim und hat drei Töchter: Renate (* 1951), Regine (*1953) und Susanne (*1958).

Sein Werk:

Die folgenden Kinderbücher gelten als Klassiker und trugen vielleicht am meisten zu seiner Bekanntheit bei:

  • 1956: Der kleine Wassermann      
  • 1957: Die kleine Hexe
  • 1962: Der Räuber Hotzenplotz
  • 1966: Das kleine Gespenst
  • 1968: Die Abenteuer des starken Wanja
  • 1969: Neues vom Räuber Hotzenplotz
  • 1973: Hotzenplotz 3

Seit den 70er Jahren schreibt er Jugend und Erwachsenenromane:      

  • 1971 Krabat
  • 1978 Flucht nach Ägypten (handelt von der Flucht der heiligen Familie durch seine böhmische Heimat)
  • 1985 Der Engel mit der Pudelmütze (eine Weihnachtsgeschichte)
  • Die folgenden Bücher stammen aus seiner Heimat:
  • 1987 Herr Klingsor konnte ein bisschen zaubern (Geschichten seiner böhmischen Kinderheimat)
  • 1981 Hörbe mit dem großen Hut
  • 1983 Hörbe und sein Freund Zottel (spielt in den Wäldern seiner Kindheit)

Die Figuren der beiden Hörbebücher haben sich ihm offensichtlich so klar eingeprägt, dass er Jahrzehnte später diese Geschichten selbst illustrierte.

In den Achtzigerjahren wurde auch der Räuber Hotzenplotz verfilmt, und Die Kleine Hexe und Das Kleine Gespenst entstanden als Trickfiguren.

Für die meisten Kinderbücher schrieb er Bühnen- und Hörspielfassungen. Da der Schallplatten und Kassettenbereich im stetigen Wachstum war, erhielt er bald die ersten goldenen Schallplatten.

Zu seinem 60. Geburtstag 1983 sind in Deutschland 2,5 Millionen Exemplare der Bücher Die Kleine Hexe, Der Kleine Wassermann und Das Kleine Gespenst verkauft worden und seine Bücher bereits in 26 Sprachen übersetzt worden.

Mit seinen Büchern hat Otfried Preußler Kinder in aller Welt angesprochen. Sein Freund Heinrich Pleticha bezeichnete deshalb einmal als Brückenbauer zwischen Nationen und Kontinenten.

Glaubt man dem litauischen Übersetzer Teodorus Cetrauska, dann ist Otfried Preußler der meistveröffentlichte Autor in Litauen überhaupt.

Beachtenswert ist auch der folgende Kommentar von Kozo Nakamura, 1993, der den Räuber Hotzenplotz - auf Japanisch Odorobo Hotsenpuroso - übersetzte:

Als 1965 der japanische Kinder- und Jugendbuchautor Yasuo Maekawa, von seiner Deutschlandreise nach Tokio zurückgekehrt war, kam er zu mir, um mich davon zu überzeugen, die Übersetzung der Werke von Otfried Preußler zu übernehmen. Er war der Meinung, in Japan fehle es in der Literatur für Kinder an spannenden Geschichten mit Phantasie und liebevollem Humor... So kam es dazu, dass ich, der ich als Germanist bis dahin keinerlei Kontakt mit der deutschen Kinderliteratur der Gegenwart hatte, mich daranmachte, den Räuber Hotzenplotz zu übersetzen.

Unser beider Wunsch ging erfreulicherweise in Erfüllung: Das Buch Der Räuber Hotzenplotz wurde von den japanischen Kindern mit Begeisterung aufgenommen. Obwohl die allen deutschen Kindern vertrauten Namen wie Kasperl und Seppel japanischen Kindern völlig neu und fremd waren, konnten sie sich mit den beiden Helden ohne weiteres identifizieren. Selbst die für sie sehr seltsam klingenden und äußerst schwierig auszusprechenden Namen wie Hotzenplotz oder Petrosilius Zwackelmann machten ihnen als Zungenbrecher großen Spaß ...

Alle Bücher Preußlers in japanischer Übersetzung ziehen auch heute noch viele Kinder an und gehören wohl zu den meistgelesenen Büchern der Kinder- und Jugendliteratur in Japan.

Sehr viel Zeit widmet Otfried Preußler auch dem Briefwechsel mit Kindern aus aller Welt, wobei er die Pflege dieser Partnerschaft als Teil seine Lebensaufgabe sieht. In seinem Archiv befinden sich über 10.000 Briefe aus aller Welt (von Brasilien bis Japan, von Kanada bis Südafrika) und selbstgemachte Basteleien.

Auch für Bilderbücher schreibt Otfried Preußler kurze, prägnante Texte, die die Illustratoren in den Mittelpunkt stellen.

Den größten Bekanntheitsgrad erreichte 1972 Die dumme Augustine: eine lustig freche Clownfamilien-Geschichte um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie wird nicht nur zum erfolgreichen Bühnenstück, sondern 1993 verfilmt und mit dem Bayerischen Kinderfilmpreis ausgezeichnet.

Seit den 70er Jahren engagiert er sich für die Orthopädische Klinik in Aschau, wo er seit 1993 Vorsitzender der gemeinnützigen Vereinigung Hilfswerk für die orthopädische Klinik Aschau ist.

1988 entsteht das Sagenbuch Zwölfe hat`s geschlagen

1993 Mein Rübezahl Buch. Wie schon früher greift auf überlieferte Stoffe zurück, die er neu bearbeitet.1995 Glocke von Weihenstetten (eine oberbayrische Dorfgeschichte aus dem 2. Weltkrieg)

1998 Zusammen mit seiner Tochter Regine Stigloher gibt er eine Sammlung von 123 meist mündlich überlieferten Reimen und Versen heraus: Eins, zwei, drei im Bärenschritt

2000 gibt er zusammen mit seinem Freund Heinrich Pleticha  Das große Balladenbuch heraus, eine Sammlung von Balladen und Hintergrundinformationen.

Für sein Gesamtwerk bekam er zahlreiche Auszeichnungen, wie z.B.

  • 1990 dein Eichendorff- Literaturpreis
  • 1991 Ernennung zum Titularprofessor
  • 1993 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

Doch die größte Auszeichnung ist wohl der riesige Beliebtheitsgrad bei seinen Lesern ohne zeitliches Verfalldatum und das auf der ganzen Welt.  Vielleicht lässt es sich aber auch ganz einfach mit Otfried Preußlers Worten erklären: Der Mensch braucht Geschichten wie er sein tägliches Brot braucht.

 

Artikelbild: Verlagsgruppe Oetinger

 



Quelle oder Autor/-in: Sonja Azizzi (Reinhold Embacher)

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