In Memoriam: Der Tiroler Philosoph Wolfgang Stegmüller

Am 3. Juni 2023 jährt sich der Geburtstag des Tiroler Philosophen Wolfgang Stegmüller zum 100. mal. Sein Nachlass befindet sich seit mehr als zehn Jahren am Forschungsinstitut Brenner-Archiv. 2005 wurde damit begonnen ihn auszuwerten. Stegmüller gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der analytischen Philosophie und Wissenschaftstheorie im deutschen Sprachraum.

Wolfgang Stegmüller wurde am 3. Juni 1923 in Natters geboren und studierte Philosophie an der Universität Innsbruck, wo er 1949 schließlich habilitierte. Im Jahr 1958 übernahm er die Professur für Philosophie an der Universität München, eine Stellung die er bis zu seiner Emeritierung inne hatte. Am 1. Juni 1991 verstarb Wolfgang Stegmüller in München.

Der Tiroler Philosoph trug maßgeblich zur Verbreitung der analytischen Philosophie und Wissenschaftstheorie im deutschsprachigen Raum bei und lieferte bedeutende Beiträge zum wissenschaftstheoretischen Strukturalismus und zur Philosophiegeschichte der Gegenwart. Seine bereits in sieben Auflagen erschienene vierbändige Darstellung Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie wurde zu einem bis heute geschätzten Nachschlagwerk für die Philosophie des 20. Jahrhunderts.

Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie Bd. 1-4

   

 

Stegmüllers erste Band zur Gegenwartsphilosophie behandelt die Philosophie der Evidenz, die methodische Phänomenologie, die angewandte Phänomenologie sowie Existenzialontologie, Existenzphilosophie, den kritischen Realismus, den Moderner Empirismus und die Philosophie Ludwig Wittgensteins.

Band 2 beinhaltet die Bereiche Sprachphilosophie, Hermeneutik und Wissenschaftstheorie, Phänomenologie und Analytische Philosophie, Philosophische Logiken, Holistischer Naturalismus, Mögliche Welten, Interner Realismus und Strukturalismus.

Der dritte Band bietet einen Einblick in die neue Theorie der Elementarteilchen sowie in das heutige astrophysikalische Bild des Universums, eine Darstellung der Evolutionstheorie von M. Eigen und den molekularbiologischen Erkenntnissen und deren evolutionstheoretischen Konsequenzen sowie eine Darstellung der Theorie der Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas S. Kuhn.

Der 1989 erschienene vierte Band behandelt Kripkes Wittgenstein und die beiden Werke des australischen Philosophen John Leslie Mackie Ethik und Das Wunder des Theismus.

 

Zu seinen weiteren Werke zählen unter anderem:

  • Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik, 1968
  • Metaphysik-Skepsis-Wissenschaft,1969
  • Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit, 1973
  • Die Entwicklung des neuen Strukturalismus seit 1973
  • Theorie und Erfahrung, 1974
  • The Structuralists View of Theories, 1979
  • Erklärung-Begründung-Kausalität, Bd I-II, 1983
  • Theorienstrukturen und Theoriendynamik, 1985

Im Mai 2003 fand im Gedenken an den 80. Geburtstag des Tiroler Philosophen ein Symposium an der Universität München statt, an dem auch zahlreiche seiner ehemaligen Schüler teilgenommen hatten. Wolfgang Spohn, heute Professor für Philosophie an der Universität Konstanz, erinnert sich an Stegmüllers Wirken an der Universität München:

Ich hatte als Schüler in der zwölften Klasse den ersten Band von Stegmüllers Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie gelesen und war fasziniert vom Kapitel über den Wiener Kreis und Rudolf Carnap. Ich wusste: dies ist die Form von Philosophie, die ich studieren will. Und ich hatte das Glück, 1969 nach München zu kommen, in einer Zeit, als das sog. Philosophische Seminar II, eben Stegmüllers Seminar, dabei war, voll zu erblühen.

Das Seminar hatte klein begonnen und anfänglich einen schweren Stand. Stegmüller konnte lange Geschichten erzählen über die katholischen Festgefügtheiten an der Fakultät, gegen die er ankämpfen musste. Als aber sein Einfluss zunahm und sich das Seminar vergrößerte, wurden diese Schwierigkeiten weniger. Zu meiner Zeit hatte Stegmüller fünf Assistenten, zwei weitere Professuren waren dem Seminar zugeordnet. Gegenüber den jüngeren Mitarbeitern hatte Stegmüller einen großen Informationsvorsprung und wenn er sich für ein Problem interessierte, beschäftigte sich das ganze Seminar ebenfalls damit.

Es war dies die Zeit, als die ersten Bände der Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie entstanden. Bemerkenswert ist auch, dass viele Schüler Stegmüllers auf ihre Weise rechte Dickköpfe waren; Stegmüller hatte ihnen immer ihren Raum gelassen.

Quelle Information Philosophie: Wolfgang Stegmüllers Erbe(n)

 

Wolfgang Stegmüller über Sprache und Logik:

Von vielen Logikern der Gegenwart wird hervorgehoben, daß logisch- erkenntnistheoretische Untersuchungen nur dann zu klaren und präzisen Ergebnissen gelangen können, wenn der Gegenstand der Betrachtung selbst ein nach präzisen Regeln aufgebautes Sprachsystem ist. Die Alltagssprache erfüllt infolge der vielen in ihr vorkommenden Vagheiten nicht diese Bedingung. Sie ist daher nach dieser Anschauung zu ersetzen durch eine formalisierte Sprache oder durch eine Reihe von formalisierten Sprachen, die auf Grund von bestimmten, explizit formulierten Regeln aufgebaut wurde bzw. wurden.

Wenn von den Vagheiten der Alltagssprache die Rede ist, dann denkt man wohl zunächst hauptsächlich an die sog. Äquivokationen, d. h. Mehrdeutigkeiten von Ausdrücken, wie z. B. des Ausdrucks Star«, der eine Augenkrankheit, einen Vogel sowie eine Filmgröße bezeichnet. Derartige Mehrdeutigkeiten sind jedoch völlig trivial, da aus dem jeweiligen Kontext ohne Schwierigkeit zu ersehen ist, welche der verschiedenen Bedeutungen eines solchen Wortes gerade gemeint ist. Es wäre daher absurd, die Forderung nach einer präzisen logischen Sprache mit dem Hinweis auf äquivoke Ausdrücke wie »Star« zu motivieren.

Nun gibt es allerdings noch andere Gründe dafür, logische Untersuchungen unter Verwendung von Symbolsprachen vorzunehmen. Als Hauptgrund wird die Übersichtlichkeit und Kürze der Darstellung angeführt. Genausowenig wie die Mathematik wesentliche Fortschritte gemacht hätte, wenn man ohne eigene mathematische Symbole hätte auskommen wollen, so könnte auch von der Logik nicht erwartet werden, zu bedeutenderen Resultaten zu gelangen, wenn man in ihr den Gebrauch einer symbolischen Darstellung verbieten wollte.  ...

Quelle: Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie: Wolfgang Stegmüller, Der Phänomenalismus und seine Schwierigkeiten.
Sprache und Logik, 1969 (1956), Vorwort, S. 66

 

Carlos Ulises Moulines, Professor für Philosophie an der Universität München, würdigte Wolfgang Stegmüllers Bedeutung für die analytische Philosophie auf dem Symposium an der Universität München 2003:

Stegmüllers Verdienst ist es, die analytische Philosophie, die ihren Ursprung in Deutschland hatte und von dort von den Nationalsozialisten vertrieben wurde, wieder zurückgebracht zu haben. Allerdings wäre es nicht fair, Stegmüller lediglich diese Brückenfunktion für die wissenschaftliche Philosophie in Deutschland zuzuschreiben.  Denn seine Werke waren schon sehr früh auch im Ausland bekannt.

Ich hatte damals, noch zu Francos Zeiten, mein Philosophiestudium in Barcelona gemacht. Dies war die einzige spanische Universität, in der analytische Phi­lo­so­phie, Logik und etwas Wissenschaftstheorie unterrichtet wurde. Anfang der siebziger Jahre hatte ich meine Magisterarbeit über Carnap geschrieben, und über seine Auseinandersetzung mit Carnap wurde ich mit Stegmüllers Arbeiten bekannt.

Ich ging dann nach München, um mich in diesem Bereich bei Stegmüller weiter auszubilden. Schon damals war ich nicht der erste ausländische Student, der bei Stegmüller studierte, es waren schon solche aus Frankreich, Spanien und Lateinamerika da. Die Art und Weise, wie Stegmüller Philosophie betrieben hatte, wurde dann wieder exportiert, indem einige dieser Studenten Professoren wurden.

Quelle Information Philosophie: Wolfgang Stegmüllers Erbe(n)

 

Seit 1994 wird das Schaffen des Tiroler Philosophen durch einen nach ihm benannten Wissenschaftspreis gewürdigt. Die Gesellschaft für Analytische Philosophie vergibt den Wolfgang-Stegmüller-Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Der von Margret Stegmüller gestiftete Preis ist mit insgesamt 10.000 Euro dotiert und wird alle drei Jahre für herausragende Arbeiten auf dem Feld der analytischen Philosophie verliehen.

In Tirol ist der Philosoph und Verfasser zahlreicher Werke bis heute weitgehend unbekannt geblieben, dabei verwaltet das Forschungsinstitut Brenner-Archiv den umfangreichen Nachlass von Wolfgang Stegmüller. Im Rahmen des Projekts des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) Vertreibung und Rückkehr der Wissenschaftstheorie: Rudolf Carnap und Wolfgang Stegmüller wird seit Mai 2005 der umfangreiche Nachlass des Philosophen ausgewertet.

Für alle, die sich für die verschiedenen philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts interessieren, ist Stegmüllers großes Werk zur Philosophiegeschichte Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie I - IV eine Fundgrube und hilfreiche Einführung in das Denken der großen Philosophen der jüngsten Vergangenheit.

 

Weiterführender Link:

 

Andreas Markt-Huter, 22-05-2023

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