Der Weg zum Allgemeinen Wahlrecht 1905 - 1907: nachgelesen in den Innsbrucker Nachrichten. Teil 1

Vor hundert Jahren wurden die Abgeordneten zum Österreichischen Reichsrat erstmals nach dem gleichen, geheimen, direkten und unmittelbaren Wahlrecht gewählt. Frauen sollte das Wahlrecht in der österreichischen Monarchie aber bis zuletzt verschlossen bleiben.

 

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Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht stellte die Wahlrechtsreform dar, die mit der Unterzeichnung durch Kaiser Franz Josef I. am 21. Jänner 1907 in Kraft getreten war.

 

Teil 1: Auf dem Weg zur Wahlrechtsreform 1848 - 1907

Um eine Entwicklung der österreichischen Verfassung und des Wahlrechts in Österreich kurz skizzieren zu können, ist es notwendig, zu deren Anfängen in die Zeit der Märzrevolution im Jahr 1848 zurück zu gehen. Am 15. März 1848 sah sich Kaiser Ferdinand I., durch die zunehmenden Unruhen gezwungen, eine Verfassung einrichten zu lassen. Knapp ein Monat später wurde eine erste Wahlordnung für einen Reichstag beschlossen, der aus dem Senat und der Kammer der Abgeordneten bestehen sollte.

Setzte sich der Senat aus Mitgliedern des Herrscherhauses, der Aristokratie und vom Kaiser zu bestellenden Mitgliedern zusammen, waren für die Wahl der Abgeordnetenkammer nur Personen zugelassen, die ein bestimmtes Vermögen besaßen oder eine bestimmte Steuerleistung nachweisen konnten. Nach massiven Studenten- und Arbeiterprotesten musste das Wahlrecht geändert werden: alle eigenberechtigten Personen, die mindestens 24 Jahre alt waren, sollten wählen dürfen und gewählt werden können. Frauen galten damals in der Regel nicht als eigenberechtigte Personen.

Die Wahlen zum 1. Reichstag am 26. Juni 1848 zeichneten sich durch eine sehr geringe Wahlbeteiligung aus. 24% der Abgeordneten waren Beamte, 9% Fabrikanten und Gewerbetreibende, 11% Gutsbesitzer, 5% Geistliche, 4% Professoren und Lehrer und 2% Studenten. Handwerker und Arbeiter fehlten vollständig. Knapp ein Jahr nach dem Ausbruch der Märzrevolution gelang es dem noch jungen Kaiser Franz Josef I. die Unruhen mit militärischer Gewalt niederzuschlagen und am 7. März 1849 den Reichstag ebenfalls mit militärischer Hilfe auf zu lösen. In Folge wurde das Wahlrecht wieder massiv eingeschränkt und von einer bestimmten Steuerleistung abhängig gemacht. Der Reichstag setzte sich wieder aus zwei Kammern zusammen, einem Oberhaus und einem Unterhaus.

 
Vor 100 Jahren, vom 14. - 24. Mai 1907, fanden in Österreich die ersten Wahlen statt, an dem alle Männer unabhängig von ihrem Vermögen teilnehmen durften. Ermöglicht wurde dies durch eine Reform des Wahlrechts, die von Kaiser Franz Josef I. und dem damaligen Ministerpräsidenten Beck initiiert worden war. Frauen blieb das Wahlrecht bis 1919 vorenthalten.

 

In der Realität hatte Kaiser Franz Josef I. einen Neoabsolutismus eingeführt und ließ mit dem Mittel des Notverordnungsrechts auch Reichstage auflösen. 1851 wurden die Märzverfassung und die dazugehörige Wahlordnung schließlich auch formell wieder außer Kraft gesetzt. Dem aus einer Kammer bestehenden Reichsrat kamen nur geringe Kompetenzen zu, hatte er doch lediglich beratende Funktion. 1861 wurde erneut ein Zweikammersystem eingeführt, wobei die Mitglieder des Oberhauses vom Kaiser berufen und die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von den Landtagen gewählt wurden.

Durch die anwachsenden nationalen Probleme innerhalb der Monarchie, weigerten sich immer öfter Landtage ihre Abgeordneten an den Reichrat zu senden. Mit der Einführung der direkten Wahl des Reichtages 1873 sollte diesem Boykott des Reichstages durch die Landtage entgegen getreten werden. Im neuen Kurienwahlrecht, in dem die Wähler nach ihrem Stand in mehrere Kurien eingeteilt wurden, kam den einzelnen Kurien jeweils eine bestimmte Mandatszahl zu:

  • Großgrundbesitzer: 4.931 Wähler - 85 Mandate
  • Handels- und Gewerbekammern: 499 Wähler - 21 Mandate
  • Städte und Märkte: 186.323 Wähler - 118 Mandate
  • Landgemeinden: 1.062.259 Wähler - 129 Mandate

Wahlberechtigt waren nur Personen, die das 24. Lebensjahr vollendet hatten und jährlich mindestens 10 Gulden direkte Steuern entrichten konnten. Das entsprach ca. 6% der erwachsenen Bevölkerung, wobei die Steuerleistung später auf 5 bzw. 4 Gulden gesenkt wurde. 1896 wurde eine 5. Kurie eingerichtet, aus der Personen ohne Steuerleistung Abgeordnete wählen konnten, wobei die Kluft der Stimmengewichtung zwischen den einzelnen Kurien weiter vergrößert wurde:

  • Großgrundbesitzer: 64 Stimmen / Mandat
  • Handels- und Gewerbekammern: 29 Stimmen / Mandat
  • Städte und Märkte: 3.341 Stimmen / Mandat
  • Landgemeinden: 11.555 Stimmen / Mandat
  • Allgemeine Kurie: 69.697 Stimmen / Mandat

Die Wahlrechtsreform von 1907

Vor allem die Sozialdemokratie hatte um das allgemeine Wahlrecht jahrelang gekämpft. In Deutschland war es bereits 1871 eingeführt worden, und als selbst der russische Zar 1905 eine durch Wahlen zu bildende Volksvertretung, die Duma, zulassen musste, konnte sich Österreich der durch Massendemonstrationen der Arbeiter unterstrichenen Forderung nach allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen nicht mehr verschließen.

Die zunehmenden nationalen Unruhen und die verstärkten Protestmärsche der sozialistischen Arbeiterbewegung nach der Revolution in Russland im Jahr 1905, verstärkten den Druck auf die Regierung. Die Innsbrucker Nachrichten berichteten in ihrer Ausgabe vom 2.11.1905 von sozialdemokratischen Veranstaltungen in Kirchbichl und Wien in denen das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht gefordert worden war.

Am Sonntag fand beim Oberländer in Kirchbichl eine Volksversammlung statt, welche von der sozialdemokratischen Partei einberufen war. Aus allen umliegenden Orten, selbst aus Kufstein, waren zahlreiche Teilnehmer anwesend. Zur Tagesordnung: "Das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht und die Verhandlungen im Tiroler Landtag" sprachen die Herren Holzhammer und Rappoldi aus Innsbruck. Unter großem Beifalle wurde eine Resolution angenommen, welche der  durch die Massenversammlung  in Innsbruck an den Landtag geleiteten Petition einmütig die Zustimmung erteilte [...]

Wahlrechtsdemonstration in Wien. Vorgestern Abend fand in Wien die auf dem sozialdemokratischen Parteitage angekündigte Wahlrechtsdemonstration statt. In allen Fabriken wurden rote Flugzettel verteilt, auf welchen es unter anderem heißt: "Der Zar hat die politische Freiheit gewähren müssen. Wie lange sollen wir noch warten? [...] Heraus mit dem allgemeinen Wahlrechte!"

Der Aufforderung kamen etwa 7.000 Arbeiter nach, die in von sozialdemokratischen Abgeordneten geführten Gruppen aufmarschierten. [...] Die Menge welche "Hoch das allgemeine Wahlrecht!" rief, wurde von der Wache zum Parlamentsgebäude gedrängt. [...] Abg. Seitz hielt eine Ansprache in welcher er sagte: Gleich Russland müsse nun auch Österreich, sich seine Freiheit erkämpfen.
Innsbrucker Nachrichten, Nr. 251, 2.11.1905, S. 5

 
1905 nehmen die Forderungen nach einem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht verstärkt zu. In Wien kommt es zu groß angelegten Massendemonstrationen von Arbeitern, die von den Sozialisten organisiert worden waren. (Bilder: Österreich Journal, Nr. 45, 16.2.2007)

 

Kaiser Franz Josef I. forcierte letztendlich die Wahlrechtsreform, weil er damit auch die Hoffnung verband, den zunehmenden nationalen Spannungen durch einen verstärkten Einfluss der international ausgerichteten Sozialdemokraten begegnen zu können. Ministerpräsident Gautsch, der den Einfluss der Sozialdemokraten fürchtete, erhielt den Auftrag, eine Regierungsvorlage für die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts vorzulegen, der dem Abgeordnetenhaus am 23. Februar 1906 vorgelegt worden war.

Die Innsbrucker Nachrichten vom 24.1.1906 geben die Rede von Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch wieder:

[...] Ich will zunächst die Grundgedanken der Reform kurz skizzieren. Die Vorlage beruht auf dem Grundgedanken der Beseitigung aller Wahlvorrechte und jedes Zensus (Lebhafter Beifall und Händeklatschen). Das neue Abgeordnetenhaus soll nach unseren Vorschlägen aus 455 Mitgliedern bestehen, die aus Einzelwahlen hervorzugehen hätten.

[...] Die Zusammensetzung unseres Staates bringt es mit sich, dass die wahre Probe auf den inneren Gehalt und damit auf die Dauerhaftigkeit einer großen politischen Reform ihr Verhältnis zur nationalen Frage ist.

[...] Meine Herren! Zur Lösung der nationalen Frage haben wir in erster Linie das Territorialitätsprinzip angewendet, indem wir, soweit als möglich national einheitliche Wahlbezirke geschaffen haben.

[...] Was die Form des Wahlrechtes betrifft, so hat die Regierung ausnahmslos die direkten Wahlen vorgeschlagen. (Beifall.) Die Wähler sollen demnach überall selbst den Mann ihres Vertrauens benennen und nicht erst durch Vermittlung von Wahlmännern (Zustimmung; Zwischenrufe.)

[...] Das Aufgebot des allgemeinen Stimmrechtes lässt die Möglichkeit großer Agitationen vorhersehen. Schon die beträchtliche Zahl der Wahlbezirke vermehrt die Agitationszentren. Dazu kommen in vielen Ländern die bevorstehenden sozialen Gegensätze zur Zeit der Wahlen schärfer zum Ausdruck. Um die Wahlfreiheit zu sichern, hat die Regierung sich entschlossen, schärfere gesetzliche Maßregeln vorzuschlagen, die alle Formen einer illoyalen, unlauteren und terroristischen Einwirkung auf die Wählerschaften einer strengen, gesetzlichen Bestrafung zuführen sollen (Lebhafter Beifall.)

Die Regierung wird keiner sich in den Bahnen des Gesetzes vollziehenden Parteiagitation hindernd in den Weg treten (Zwischenrufe), sie will aber, dass die Wahlen nicht allgemein sind, sondern dass sie auch frei bleiben (Lebhafter Beifall). Die Regierung hat es für ihre Pflicht gehalten, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass die neu, aus dem allgemeinen Stimmrechte hervorgegangenen Haus die Sicherheit erhalte, seiner Aufgabe gerecht zu werden.
Ibk-Nachrichten, Nr. 45, 24.2.1906, S. 1-3

Wie gespannt die Lage zwischen den verschiedenen Nationalitäten innerhalb der österreichischen Monarchie bereits 1906 war und die Sorge der deutschsprachigen Bevölkerung ihren Einfluss zu verlieren, lässt sich dem folgenden Kommentar zur Wahlrechtsreform in den Innsbrucker Nachrichten vom 26.2.1906 erkennen.

Die Aufnahme der Wahlreform. Soviel aus den Stimmen, die seit dem Bekannt werden der Wahlvorlage laut geworden sind, hervorgeht, kann man wohl konstatieren, dass [...] alle Parteien die Regierungsvorlage als die Grundlage weiterer parlamentarischer Beratungen annehmen und dass das Prinzip des allgemeinen Wahlrechtes eigentlich keine Partei ablehnt. Aber gegen die Einzelheiten sind freilich von den meisten Seiten sofort Bedenken und Proteste erhoben worden. Auf deutscher Seite herrscht große Sorge.


Die Wahlreform wurde allgemein mit gemischten Gefühlen betrachtet. In die Hoffnung auf verstärkte Mitsprache einer breiten Bürgerschaft mischte sich auf deutsprachiger Seite die Angst, als nationale Minderheit zunehmend Einfluss zu verlieren.

 

[...] Im neuen Hause, das 455 Abgeordnete zählen soll, werden die Deutschen nur 205 Mandate gegenüber den 230 Mandaten der Slawen haben. Die Deutschen sind somit aus der relativen Mehrheit verdrängt, die Slawen erhalten aber erhalten einer Majorität von 4 über alle anderen Gruppen zusammen. 

[...] Trotz der verschiedenen Nachteile und Schäden der Wahlreform für die Deutschen dürfte aber von dieser Seite eine ernste Gefahr nicht zu befürchten sein, wenn die Missstimmung durch entsprechendes Entgegenkommen gebannt und eine gerechtere Aufteilung der Mandate bzw. bessere Wahlkreiseinteilung ermöglicht wird.
Ibk-Nachrichten, Nr. 46, 26.2.1906, S. 1

Der Widerstand der Gegner der Wahlreform erwies sich als überaus heftig und zwang die Ministerpräsidenten Paul Gautsch von Frankenthurn und Konrad zu Hohenlohe-Schillingfürst letztlich sogar zum Rücktritt. Ihrem Nachfolger Max Wladimir Freiherr von Beck blieb es vorbehalten, nach 63 Sitzungen, den Abschlussbericht des Ausschusses zum neuen Wahlrecht dem Abgeordnetenhaus vorlegen zu können. Mit 194 zu 63 Stimmen wurde das neue Wahlrecht schließlich am 1. Dezember 1906 angenommen.

Der erste Tag dieses Monats wird in der Geschichte des österreichischen Parlamentarismus einen bedeutsamen Markstein bilden. Hat doch das Abgeordnetenhaus vorgestern die Wahlreform in dritter Lesung angenommen und damit dieses schwierige und wichtige Reformwerk endgültig erledigt. So sehr es zu begrüßen ist, dass dadurch den breiten Schichten der Bevölkerung der gebührende Einfluss auf das parlamentarische Leben verschafft wird, so darf man doch auch nicht vergessen, dass die Deutschen Österreichs mit der Annahme der Wahlreform die Aussichten auf eine Parlamentsmehrheit für immer begraben haben.

[...] Der Präsident erhob sich, um das Ergebnis der Abstimmung bekannt zu geben und verkündigte, dass die Wahlreform mit 194 gegen 63 Stimmen auch in dritter Lesung angenommen wurde. Lebhafter, anhaltender Beifall erscholl auf der Linken.Die Sozialdemokraten brachen in die Rufe aus "Hoch das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht, hoch die Sozialdemokratie!" Unmittelbar darauf begann vor den Ministerbänken eine Gratulationscour, an der sich fast das ganze Haus beteiligte. Vorerst erhoben sich die parlamentarischen Minister und traten auf Freiherrn v. Beck zu, den sie zum großen Erfolge beglückwünschten.
Innsbrucker Nachrichten, Nr. 277, 3.12.1906, S. 1-3

Um auch die notwendige Zustimmung des Oberhauses für das neue Wahlrecht zu gewinnen, war Kaiser Franz Josef I. gezwungen, diesem bestimmte Zugeständnisse zu machen und die Zusammensetzung des Oberhauses rechtlich zu fixieren Die Pairs, wie die Mitglieder des Oberhauses genannt wurden, setzten sich zusammen aus den berufenen Erzherzögen, Erzbischöfen und Bischöfen mit fürstlichem Rang, aus Adelsgeschlechtern mit erblicher Reichsratswürde und aus Bürgern, die vom Kaiser für Verdienste um Staat, Kirche, Wissenschaft und Kunst auf Lebzeiten berufen worden sind.

Der Kaiser musste nun auf das Mittel der so genannten Pairsschübe verzichten, das ihm die Möglichkeit bot, die Zusammensetzung des Oberhauses zu verändern, also durch die Ernennung neuer Mitglieder oder durch die Bestätigung erblicher Mitglieder des Herrenhauses die Zusammensetzung des Hauses stark nach seinem eigenen Willen zu beeinflussen. Trotzdem zeigte sich in der Debatte, dass sich die Freude über die Wahlrechtsreform im Oberhaus sehr in Grenzen hielt.

Annahme der Wahlreform. Das Herrenhaus hat gestern Mittag die Debatte über die Wahlreform begonnen und die Vorlag in sehr vorgerückter Nachtstunde mit großer Mehrheit angenommen.

[...] In der Generaldebatte sind zum Worte gemeldet:
Pro: Mattusch, Schönburg, Lammasch, Auersperg, Pininsky, Plener, Clam-Martinic, Schönborn

Contra: Franz Thun, Berger, Harrach, Inama-Sternegg, Jeglic, Exner, Chlumecky, Frida, Peez, Rhomberg, Teodorowicz.

Graf Thun erklärte sich als Gegner der Wahlreform. Er glaube nicht, dass sie den nationalen Frieden bringen und das Haus arbeitsfähiger machen werde. Mattusch klagte über Benachteiligung des tschechischen Volkes in der Wahlreformvorlage. Frhr. v. Berger erklärte, die Wahlreform sein eine natürliche Tochter des Zeitgeistes und des Volkes. Er erwartet von der Wahlreform einen politischen Heilungs- und Gesundungsprozess.

Fürst Schoenburg bekennt sich als Anhänger der Pluralität. Das Herrenhaus hätte sich nicht abhalten lassen sollen, eine Verbesserung der Wahlreform diesbezüglich durchzusetzen. Von dem numerus clausus erwarte er nicht den gewünschten Erfolg. Graf Harrach sprach sich aufs entschiedenste gegen die Pluralität aus. Er erblickt in der Wahlreformvorlage eine Zurücksetzung speziell der Tschechen und Ruthenen.

 
Als Gegenleistung für die Zustimmung des Herrenhauses zur Wahlrechtsreform musste der Kaiser einer Beschränkung der Mitglieder mit Hilfe eines Numerus clausus zustimmen. Die Innsbrucker Nachrichten vom 22.12.1907 berichten sehr ausführlich über die Debatte im Herrenhaus.

 

[...] Der Ministerpräsident Freiherr von Beck erklärte, die Regierung stimme vollkommen der aus dem Schoße des Herrenhauses hervorgegangenen numerus clausus-Vorlage zu. Es entspreche den Grundsätzen des wahren Konstitutionalismus, dass neben einem reinen Volkshause ein vollkommen gleichberechtigtes Oberhaus bestehe.

[...] Der Ministerpräsident setzte dann die Entstehungsgeschichte der Wahlreform auseinander und erklärte, das aller stärkste Argument gegen die Pluralität ist und bleibt die Erwägung, dass der große Gewinn den die Reform für den Staat durch die vollständige Beendigung des Kampfes ums Parlament bringen soll, der Schlusspunkt aller Wahlreformbewegungen verloren ginge. Auch von der konservativen Wirkung der Pluralität sei die Regierung durchaus nicht überzeugt.

Durch das gleiche Wahlrecht würde das Interesse jedes Staatsbürgers mit dem Staatsinteresse und der Dynastie dauernd verbunden. Was die neue Zukunft bringen mag, die Gegenwart hat das Wort und sie verlangt mit unwiderstehlicher Gewalt, dass der Schlussstein der Wahlreform gelegt werde. Jedes andere Beginnen würde von den unheilvollsten Folgen begleitet sein. Geben Sie den Völkern Österreichs, schloss der Ministerpräsident, was sie am dringendsten bedürfen, den Frieden (Lebhafter Beifall und Händeklatschen).

[...] Fürstbischof Jeglic trat für die Wahlreform im Interesse der Entwicklung aller Völker und Rassen ein. Das agitatorische Wirken der Sozialdemokraten werde durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts lahm gelegt.

[...] Frhr. v. Chlumecky sagte: Die Wahlreform mag gut oder schlecht sein; heute kommt es nicht mehr darauf an, das zu entscheiden. Die Verantwortung für die Ablehnung der Reform wäre zu groß, als dass man sie mit ruhigem Gewissen tragen könnte. Einer der schärfsten Gegner des gleichen Wahlrechtes ist der nächste Redner Dr. von Plener. Er sprach sich gegen die Wahlreform insbesondere wegen der Schädigung des Deutschtums aus. Man hätte vor ein paar Straßendemonstranten nicht zurückschrecken sollen.
Innsbrucker Nachrichten, Nr. 293, 22.12.1906, S. 2-3

 

>> Der Weg zum Allgemeinen Wahlrecht 1905 – 1907: nachgelesen in den Innsbrucker Nachrichten. Teil 2

 

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Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 25-05-2007

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