Hörbücher - und was nun? Der Einsatz von Hörbüchern im Unterricht

Der Begriff Hörbuch entstand in den 1980er Jahren und bedeutete ursprünglich Das Buch zum Hören, das vorgelesene Buch. Inzwischen versteht man darunter alle literarischen Angebote auf MC oder DC im Handel.

Oft fällt auch der Begriff Hörspiel auf. Daher möchte ich  diesen Begriff  kurz erklären. Hörspiele sind Inszenierungen  -  mir selbst bis jetzt vor allem bekannt für Kinder im Vorschulalter - mit verteilten Sprechrollen. Sie sind als Märchen oder Serien auf Kassetten und CDs vertont. Hörspiele entstehen, wo Musik und Geräusche sich zum Wort gesellen(vgl. German 2008, 17).

Warum hören, wenn Kinder doch lesen sollen?

Weil vor dem Lesen das Hören kommt. Schon vom Kleinkindalter bis zum Vorschulalter fördern Hörspiele das (aktive) Zuhören und die Sprechfähigkeit. Der Sprachschatz des Kindes wird erweitert. Auch empfinden Kinder Spannung, Freude und Vergnügen beim (wiederholten) Hören eines Märchens oder einer Geschichte. Oft erlernt das Kind durch mehrmaliges Wiederholen Dialoge auswendig. Außerdem freut es sich, wenn es Szenen wiedererkennt. (http://www.paradisi.de/; 28.2.2010)

Wenn das Kind in die Schule kommt, kann diese Freude an Hörspielen bzw. Hörbüchern mit all ihren positiven Auswirkungen weiterhin von uns Volksschullehrern genutzt werden. Gerade in den ersten beiden Klassen ist das Hörbuch als akustisch vermittelte Literatur eine Möglichkeit für Kinder, sich mit altersangemessenen Texten auseinanderzusetzen, auch wenn sie den Lese-und Schreiblehrgang noch gar nicht abgeschlossen haben (vgl. Engel in Börder 2008, 30).

Was sagt der Lehrplan der Volksschule dazu?

Im Österreichischen Lehrplan der Volksschule scheint beim Unterrichtsgegenstand Deutsch  vor  allem in der Sprecherziehung die Schulung des  bewußten Zuhörens, die Schulung des Hörens und Verstehens (vom Wahrnehmen über das bewusste Hinhören bis zum Aufeinander hören) auf. Dem  steigenden Alter der Schüler entsprechend, soll auch über längere Zeit aufmerksames Zuhören geschult werden. Dabei sollen Sprachangebote verschiedenster Art ( auch durch Medien - zum Beispiel  durch Hörbücher und Hörspiele - ) erfolgen. Nebenbei wird dadurch der Wortschatz der Schüler erweitert und differenziert. Auch deutliches, ausdrucksvolles, natürliches Sprechen soll gefördert werden. Zu Gehörtem Stellung nehmen gehört ebenfalls zur Gesprächserziehung.

Die Motivation zum Zuhören, Sprechen und natürlich  Lesen und Schreiben  - dies hängt ja alles zusammen - soll in einer entspannten Atmosphäre entwickelt werden.

Was sagt der Grundsatzerlass zur Leseerziehung dazu?

Auch im Grundsatzerlass zur Leseerziehung wird in Zusammenhang mit der Lesemotivation von einer motivierenden Unterrichtsgestaltung gesprochen. Wechselnde Organisationsformen des Lesens werden vorgeschlagen, u.a. ausdrücklich das Heranziehen von Tonbandaufnahmen Hörerziehung im Deutschunterricht einbauen?

Wahrscheinlich nicht  nur wir Volksschullehrerinnen stellen fest, dass Kinder immer größere Schwierigkeiten beim Zuhören, Hinhören, Lauschen oder Horchen haben. Es fällt ihnen schwer, sich bei der großen Menge an (akustischen) Informationen - Lärm, Hektik,  Ablenkung -  auf das Wesentliche zu konzentrieren (vgl. Bröder 2008, 30).

Hörerziehung im Deutschunterricht immer wieder zu thematisieren kann nur Nutzen bringen.

Hören ist eine aktive Wahrnehmungsleistung und beschränkt sich nicht nur auf die Registrierung von akustischen Reizen. Es wird Ausgewähltes, Sinnstiftendes wahrgenommen. Unwichtiges wird ausgeblendet (vgl. Wermke 2008, 3).

Beim Zuhören - zum Beispiel von einem Vortrag -  entsteht ein Gesamteindruck durch Sprachinformation, Intonation, Gestik und Mimik. Zudem wird vom Hörenden eine Haltung der Zuwendung, des Wartenkönnens und Zeitgebens verlangt. Es werden also (soziale) Kompetenzen verlangt, die man gar nicht oft genug mit seinen Schülern trainieren kann (vgl. Wermke 2008, 3ff.).

Zur Hörerziehung gehört immer dazu, dass die Fähigkeit, sich zum Gehörten differenziert zu äußern, geschult wird. Das heißt, das die Schüler die Möglichkeit haben müssen, das Gehörte miteinander zu vergleichen und sich darüber auszutauschen. Die Kinder sollen sich bemühen treffende Ausdrücke und Vergleiche zu finden.

Höreindrücke kann man aber auch bewerten. Sie können den Kindern gefallen oder missfallen,  schädlich oder förderlich sein.

Auch das Erinnerungsvermögen wird geschult, denn die Zuhörer müssen sich das Gehörte nicht nur im Moment vorstellen, sondern sich an das Gehörte erinnern (vgl. Wermke 2008, 6).

Buch und Hörbuch ergänzen sich.

Im Unterschied zum Buch werden Situationen, Schauplätze, Personen und andere Charaktere nicht (nur) beschrieben, sondern auch akustisch dargestellt. Gleich wie beim Buch entstehen Bilder dazu im Kopf.(vgl. German 2008, 11). Die Beschränkung auf den Hörsinn lässt zugleich Assoziationen zum Gehörten, sei es zu Wörtern, aber auch Geräuschen, Klängen oder zur Musik zu (vgl.Börder 2008, 30).

Der Einsatz von Hörbüchern bietet eine von  mehreren Möglichkeiten an, Hörerziehung zu betreiben, einen Zugang zur Sprache und Literatur aber auch  einen Zugang zu den unterschiedlichsten Sachgebieten (Sachunterricht!) zu finden.

Wie man ein Hörbuch im Deutschunterricht in der Volksschule (2. Schuljahr) konkret einsetzen kann, möchte ich nun - leicht gekürzt - anhand eines anschaulichen Beispiels einer deutschen Grundschullehrerin aufzeigen (vgl. Börder 2008, 30ff.). Sie verwendet dazu das Hörbuch Gold für den Pinguin (Verlag: Uccello)  das auf der Grundlage des gleichnamigen Bilderbuchs von Martin Baltscheit basiert. Die Musikstücke und Lieder stammen vom Komponisten Peter Riese.


Gold für den Pinguin von Martin Baltscheit

Die erste Unterrichtseinheit:

Pinguin vom Pol macht sich auf den Weg zu den Olympischen Spielen

Einstimmung: Bevor die Geschichte beginnt, lauschen die Kinder einer Geräuschaufnahme von Pinguinen (zum Beispiel als Download von einem Soundarchiv im Internet). Den Kindern wird zunächst nicht gesagt, um welches Geräusch es sich handelt. Nach dem Hören tauschen sie sich  über die Höreindrücke aus, versuchen zu beschreiben, wie sich die Geräusche angehört haben und welche Bilder dabei in ihrer Vorstellung entstanden sind. Erst danach wird das Hörrätsel gelöst und die Kinder berichten darüber, was sie bereits über Pinguine wissen.

Anschließend hören sie gemeinsam die Anfangssequenz des Hörbuchs Gold für den Pinguin    (Track 1). Hier lernen die HörerInnen den Protagonisten Pinguin vom Pol kennen und erfahren in Liedform, dass er den ganzen Tag keinen Fisch gefangen hat. Niedergeschlagen schaltet er den Fernseher ein und lauscht einer Live-Sportübertragung vom Wettschwimmen der Menschen.

Diese Szene erinnert sehr an die Berichterstattung von Sportereignissen im Radio. Neben den beiden Sprechern, die in schnellem Tempo sprechen und auf diese Weise Spannung erzeugen, wird die Stadionatmosphäre durch applaudierende Menschen und Jubelrufe gut vorstellbar.

Der Pinguin ist schockiert darüber, dass die Menschen  bei den Olympischen Spielen so schlechte Zeiten schwimmen und dafür eine Medaille erhalten. Er geht ins Schlafzimmer, packt seine Koffer und macht sich auf den Weg zu den Wettkämpfen der Menschen.

An dieser Stelle bietet es sich an, mit den Kindern über das Gehörte zu sprechen und Verständnisfragen zu klären. Abschließend setzen die Kinder ihre ersten Höreindrücke um, indem sie Bilder zur Anfangssequenz malen. Fragen wie zum Beispiel Wie stellst du dir den Pinguin vom Pol vor? oder Wie sieht es wohl beim Pinguin aus?  können hierbei hilfreich sein. Dabei kann der erste Teil auch noch einmal gehört werden.

Die zweite Unterrichtseinheit: 

Der kleine Pinguin gewinnt - aber die Goldmedaille wird ihm aberkannt

Der Einstieg in diese Sequenz erfolgt über ein Lied, in dem der Pinguin davon singt, dass er eine Medaille bei den Olympischen Spielen holen will (Track 2). Nach dem Hören des Liedes werden die Kinder dazu aufgefordert, den Inhalt der bisher gehörten Geschichte zu wiederholen.

Die Reporter Franz Fischler und Gabi berichten im Folgenden vom Schwimmwettkampf, an dem der Pinguin teilnimmt (Track 3). Die HörerInnen erfahren, dass der Pinguin vom Pol tatsächlich gewinnt und eine Goldmedaille erhält. Dann jedoch beschließt eine Kommission, den Pinguin wegen des Tragens unerlaubter Flossen von den Wettkämpfen auszuschließen.

An dieser Stelle äußern die Kinder zunächst ihre Meinung zur Disqualifikation des Pinguins.War es richtig, den Pinguin zu disqualifizieren?  Daran anschließend sollen sie versuchen sich in die Lage des Pinguins zu versetzen. Sie überlegen, wie er sich fühlt und schreiben ihre Gedanken auf. Der Pinguin ist traurig! Er fühlt sich ungerecht behandelt! oder Der Pinguin ist enttäuscht! sind hierbei zu erwartende Äußerungen.

Die dritte Unterrichtseinheit:

Die Tiere gewinnen alle Medaillen

Der Löwe sieht im Fernsehen, dass dem Pinguin die Goldmedaille aberkannt wurde. Wütend und empört über diese Entscheidung befiehlt er allen Tieren des Urwalds, zu den Wettkämpfen zu reisen, um dort so viele Medaillen wie möglich zu gewinnen (Track 5). Den Kindern wird nun das erste Mal ein Bild aus dem Buch gezeigt. Es handelt sich hierbei um die fünfte Doppelseite, auf der verschiedene Tiere zu sehen sind, die an der Olympiade teilnehmen werden. Die Kinder beschreiben zunächst das Bild und benennen die Tiere, die sie darauf sehen. Anschließend erhalten sie den Arbeitsauftrag, sich für ein Tier zu entscheiden und aufzuschreiben, in welcher Disziplin dieses Tier bei den Wettkämpfen teilnimmt und ob es eine Medaille gewinnt. Nach der Präsentation der Ergebnisse hören die Kinder dann im weiteren Verlauf der Handlung, in welchen Disziplinen die Tiere tatsächlich antraten und vergleichen dies mit ihren eigenen Ideen (Track 6). Alle Wettkämpfe werden vom Reporterteam Franz Fischler und Gabi in einer Konferenzschaltung kommentiert. Besonders in dieser Sequenz gelingt es, die Atmosphäre einer Live-Radioübertragung zu schaffen, die zum Hören motiviert und zur Nachahmung anregt.

Die vierte Unterrichtseinheit: 

Die Menschen weinen olympische Tränen

Die Tiere haben alle Medaillen gewonnen, keine einzige ist den Menschen übriggeblieben. Der Löwe bringt seine Freude darüber in einem Lied zum Ausdruck (Track 7). Im Gegensatz dazu stehen die Gefühle der Menschen, über die die HörerInnen wieder vom Reporterteam informiert werden (Track 8). Die Kinder erfahren, dass die Menschen sehr traurig sind, weil sie solange trainiert und nun nicht eine einzige Medaille erhalten haben. Der Löwe ist gerührt und hat eine Idee. Er sammelt alle Medaillen der Tiere ein und gibt sie an die Menschen zurück mit folgendem Kommentar: Wir wollten nicht gewinnen, wir wollten einfach nur dabei sein!  Die Menschen ihrerseits, übereichen nun als Dank eine Ehrenmedaille an?........Nachdem die Kinder diese Sequenz gehört haben, sollen sie zunächst ihre Eindrücke zum Gehörten äußern. Herauszustellen ist dabei vor allen die Kernaussage:Dabei sein ist alles!

Daran anschließend stellen die Kinder Vermutungen an, wer nun die Ehrenmedaille bekommen soll. Sie sind sich wahrscheinlich schnell einig, dass der Pinguin die Medaille erhält, und hören gemeinsam das Ende der Geschichte (Track 9). Danach sollen sie zu dieser Schlusssequenz in kleinen Gruppen selbst eine Reportage machen und diese dann vorspielen. Die Aufgabenstellung knüpft direkt an die Geschichte an, die auch in großen Teilen in Form einer Live-Reportage erzählt wird. Auf diese Weise setzten sich die Kinder nocheinmal intensiv mit dem Gehörten auseinander und machen erste eigene Erfahrungen mit dieser Art der Berichterstattung.


Praktisch:

Im Internet kann man in sehr viele Hörbücher hineinhören. So kann man sich ein Urteil bilden, ob sich das vorgesehene Hörbuch für das betreffende Thema eignet und  ob einen die Machart gefällt.

Gold für den Pinguin ist nun ein Beispiel für Literatur hören im Deutschunterricht der Volksschule. Wie vorhin schon erwähnt, wäre ein weiterer Einsatzbereich  von Hörbüchern in der Volksschule, der Unterrichtsgegenstand Sachunterricht. Es gibt eine rießige Auswahl von Hörbüchern, die der Wissensvermittlung auf dem Gebiet der Ernährung, Entstehung der Erde, Religion, Geschichte, Tier - und Pflanzenwelt, Geographie ... dienen. Diesen Einsatzbereich werde ich vielleicht in einem eigenen Aufsatz beschreiben.

Hörbuchverlage

Es gibt inzwischen eine Menge Hörbuchverlage. Auch viele Buchverlage sind an Portalen, bei denen es spezielle Portale für Kinderhörbücher gibt (http://www.hoerbie.de/; http://www.hoerstern.de/; http://www.toni.de/), beteiligt. Kleine Verlage mit Qualitätsanspruch sind zum Beispiel: Edition See-Igel, Headroom, Hörcompany und Uccello.

Ein Beispiel für eine Informationsquelle für Hörbuchkritiken im Internet ist http://www.hoerothek.de/

Quellen:

Lehrplan der Volksschule; 9. Auflage, Stand: 1. Februar 2000

Grundsatzerlass Leseerziehung; Erlass des Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten GZ 29.540/4-V/3c/99 vom 25. März 1999

http://www.paradisi.de/Health_und_Ernaehrung/Mutter_und_Kind/Hoerspiele/Artikel/4576.php (28.2.2010) 

Wermke, Jutta: Hörerziehung im Deutschunterricht. In: kjl&m 08.3, forschung.schule.bibliothek, 60. Jahrgang, 3.Vj.2 S.3-10

German, Heide: Marktüberblick: Hörspiele, Hörbücher für Kinder. In: kjl&m 08.3, forschung.schule.bibliothek, 60. Jahrgang, 3.Vj.2 S.11-18

Börder, Mette: Literatur hören im Deutschunterricht der Grundschule am Beispiel von Martin Baltscheids Gold für den Pinguin. In: kjl&m 08.3, forschung.schule.bibliothek, 60. Jahrgang, 3.Vj.2 S.30-34

Artikelbild: (c) Eveline Steiner (bilder.tibs.at)



Quelle oder Autor/-in: Mag. Christine Vill, VS Dreiheiligen, Innsbruck

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