William Sutcliffe, Auf der richtigen Seite
„Ich verstehe plötzlich, dass dieser Hain hier, von der Spitze des Hügels bis zum unteren Ende, eine Aufgabe für mich ist. Wenn ich mich um dieses Land kümmere, dann kann ich durch meine Arbeit und meinen Schweiß vielleicht das wiedergutmachen, was ich getan habe.“ (185f)
Als der Ball des dreizehnjährigen Joshua beim Spiel mit seinem Freund David über einen Bretterzaun einer Baustelle fliegt, ahnt er noch nicht, wie sehr dieses Ereignis sein Leben verändern wird. Als er durch ein Loch im Zaun auf die andere Seite gelangt, entdeckt er ein zerstörtes Haus mit einem Tunnel, der auf die palästinensische Seite der durch eine Mauer gesicherten israelischen Stadt Amarias führt.
Als Joshuas Mutter nach dem Tod seines Vaters den streng religiösen Liev heiratet, zieht die Familie in die Stadt Amarias, eine Mauer und strengste Sicherheitsvorrichtungen die Bevölkerung vor Bomben und Angriffen von der palästinensischen Seite schützen soll. Als Joshu durch den Tunnel auf die palästinensische Seite gelangt, erblickt er eine fremde Welt, voll Armut und Zerfall.
Eine Gruppe von palästinensischen Kindern und Jugendlichen entdeckt Joshua und beginnt ihn als Feind von der anderen Seite zu jagen. Nur mit Mühe kann er sich vor seinen Verfolgern verstecken. Die junge Leila bringt ihn in ihrem Haus in Sicherheit und gibt ihm zu essen und zu trinken, sowie Kleidung, um unerkannt wieder heim kommen zu können.
Joshua ist beschämt und beeindruckt von der Hilfsbereitschaft des abgemagerten, hungernden Mädchens und beschließt zurückzukehren und ihre Essen zu bringen, um sich bei ihr zu bedanken.
Als Joshua nach Hause kommt, findet er seine Mutter völlig aufgelöst vor Angst um ihn an und sein Stiefvater Liev stellt wieder einmal ganz offen seine Wut gegen ihn zur Schau. Joshua kann immer noch nicht verstehen, wie seine Mutter den streng orthodoxen Liev heiraten konnte, der sich so vollkommen von seinem Vater unterschied, der während seines Militärdienstes erschossen worden war.
Als es Joshua wieder gelingt auf die andere Seite der Mauer zu gelangen und Leila Essen zu bringen, lernt er ihre Familie kennen und besser verstehen. Er versorgt sie mit Medikamenten und verspricht ihrem Vater, der schwer verletzt wird, sich um seinen Olivenhain auf der israelischen Seite der Mauer zu kümmern. Während sich Joshuas Verhältnis zu seinem Stiefvater immer mehr verschlechtert, findet in der Arbeit für Leila und ihre Familie im Olivenhain einen neuen Sinn im Leben. Als Liev dem heimlichen Treiben seines Stiefsohnes auf die Schliche kommt, droht für Joshua, alles was er geschaffen hat, einzustürzen.
William Sutcliffes Jugendroman „Auf der richtigen Seite“ zeigt auf, wie sehr Hass und Vorurteile das Leben von Menschen zerstören kann und der Versuch beides zu überwinden, wie ein kleines Pflänzchen gepflegt und geschützt werden muss, um langsam Wurzeln schlagen zu können.
Mit viel Einfühlungsvermögen und großer symbolischer Bildkraft gelingt es Sutcliffe, die Lebenswirklichkeit einer gespaltenen Gesellschaft zu zeichnen, in der sich Vorurteile und Wirklichkeit zu einem surrealen Konglomerat verbinden, aus dem es scheinbar kein Entkommen zu geben scheint. Erst der unmittelbare Kontakt zu den einzelnen Menschen ermöglicht wieder Mitgefühl und Respekt vor dem Anderen und holt aus der Schublade der Vorurteile das Individuum hervor.
Ein überaus empfehlenswerter Jugendroman, der in eindrücklicher Sprache den Konflikt im Nahen Osten anschaulich dokumentiert, philosophisch aber grundsätzlich die Frage nach Hass und Vorurteilen ohne erhobenen und belehrenden Zeigefinger emotional zu thematisieren versteht.
William Sutcliffe, Auf der richtigen Seite. Übers. v. Christiane Steen [Orig. Titel: The Wall], ab 12 Jahren
Reinbeck: Rowohl Verlag Rotfuchs 2018, 352 Seiten, 9,30 €, ISBN 978-3-499-21797-5
Weiterführende Links:
Rowohl Verlag Rotfuchs, William Sutcliffe, Auf der richtigen Seite
Wikipedia: William Sutcliffe (engl.)
Andreas Markt-Huter, 07-08-2018