Kirsten Boie, Ein Sommer in Sommerby
„Dabei hat alles mit einer schlimmen Nachricht angefangen. Das ist ja manchmal so im Leben: Etwas Schreckliches passiert, aber wenn man nach Jahren zurückblickt, dann hat genau damit etwas Glückliches begonnen. Nur dass man das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß.“ (S. 8)
Leonie, Marthas Mama, hat in New York, auf dem Weg zu ihrer Arbeit in einer Bank, einen Unfall gehabt. Ihr Papa Nils beschließt sofort zu ihr ins Krankenhaus in New York zu fahren, um bei ihr zu sein. Bleibt da nur das Problem wohin mit den Kindern. Sie müssen zu ihrer Großmutter Mutter, die auf einer Landzunge an der Ostsee lebt und seit acht Jahren nicht mehr mit ihrer Tochter Leonie und Nils gesprochen hat.
Die zwölfjährige Martha kann sich noch ein wenig an ihre Großmutter erinnern, die sie als kleines Kind besucht hat. Der siebenjährig Mikkel und der vierjährig Mats kennen Oma nur vom Hörensagen, was den Kindern wenig Zuversicht bereitet.
„Ja, wenn die alte Hexe überhaupt noch lebt!“, murmelt Papa und merkt gar nicht, wie Mikkel und Mats zusammenzucken. (S. 11)
Als Annika, Leonies bestes Freundin, mit den Kinder zur Großmutter fährt, werden sie von dieser gleich mit einem Gewehr in der Hand wie gefährliche Eindringlinge begrüßt. Martha ist entsetzt und weil gleich wieder verschwinden, aber Mats und Mikkel haben keine Lust zu gehen, weil sie bei Omas Tieren bleiben. Die Großmutter zeigt ihnen ihren Schlafplatz gleich unter dem Dach, von wo aus sie eine herrliche Aussicht genießen.
Für die Buben bricht eine herrliche Zeit volle Abenteuer an Freiheiten an, wobei sie bei der Arbeit im Haus und in der Küche tüchtig mithelfen. Nur Martha, die sich für ihre kleinen Brüder verantwortlich fühlt, kann sich nicht entspannen. Nur langsam kann sie sich daran gewöhnen, dass er es bei Oma weder Telefon noch Fernseher oder Internet gibt. Dafür hat die Großmutter eine kleine Bibliothek und Martha entdeckt zunehmend den Reiz des Lesens und der Natur.
Das Leben bei Großmutter erweist sich für die Kinder als völlig anders als zu Hause. Während die Kinder im Haushalt der vorsichtigen Mutter, wo über alles diskutiert und verhandelt wird, wenig tun dürfen, genießen sie bei der strengen Großmutter große Freiräume, müssen dafür aber überall im Haushalt mithelfen.
Die Kinder werden immer mehr in das Leben bei Großmutter integriert und lernen das wenig romantische Landleben kennen und schätzen. Nach und nach treten auch die völlig gegensätzlichen Anschauungen von einem glücklichen Leben zwischen der auf dem Bauernhof lebenden Großmutter und den als Börsenmakler tätigen Eltern zu Tage. Als plötzlich Schwierigkeiten aufkommen, müssen alle zusammenhalten.
„Ein Sommer in Sommerby“ ist die liebevoll erzählte Geschichte eines Sommers, in dem drei Kinder ihr größtes Abenteuer erleben und sich eine Familie nach vielen Jahren wieder näherkommt. Es ist aber auch die Geschichte verschiedener Lebensweisen und Vorstellungen von Glück, das sich in drei Generationen widerspiegelt.
Das überaus lesenswerte Kinderbuchzeichnet sich der durch seine ruhige Sprache und seinen tiefgründigen Erzählstil ebenso aus wie durch seine scharf gezeichneten und lebendigen Charaktere. Ein liebenswerter Kinderroman der nicht nur junge Leserinnen und Leser, sondern auch Erwachsene durch seine leise Gesellschaftskritik zu begeistern vermag.
Kirsten Boie, Ein Sommer in Sommerby. Ill. v. Verena Körting, ab 10 Jahren
Hamburg: Oetinger Verlag 2018, 320 Seiten, 14,40 €, ISBN 978-3-7891-0883-9
Weiterführende Links:
Oetinger Verlag: Kirsten Boie, Ein Sommer in Sommerby
Wikipedia: Kirsten Boie
Andreas Markt-Huter, 07-02-2019