Stefan Alfare, Der dritte Bettenturm

Buch-Cover

Sogenannte Parallelwelten dienen oft dazu, die offiziell sichtbare Einheitswelt in ihrer wahren Substanz zu erkennen.

In Stefan Alfares Roman Der dritte Bettenturm ist die Welt gleichsam an einem überdimensionierten Betten-Silo in einem anonymen Spital aufgefädelt. Das Schicksal des Helden lässt sich mit einem Halbsatz bereits auf der ersten Seite zusammenfassen ?Ein abgebrochener Schritt, er geriet ins Taumeln. (7) Die Hauptfigur heißt sinnigerweise Victor Flenner, offensichtlich ist Flenners Geschichte zum Weinen, während er selbst recht stupide-melancholisch seine eigene Weltlage beurteilt.

In einem Anflug aus Verdruss, Sud oder Kreislaufschwund wirft sich Flenner die Treppen hinunter und wird wie ein blutiges Steak in ein Spital eingeliefert. Mit einem Schlag schaut die Welt anders aus. Flenner ist sediert und verkabelt und bekommt von der Außenwelt nur Fragmente mit. Außerdem dürfte das Erinnerungsvermögen gelitten haben, denn die erinnerten Bruchstücke erweisen sich als unwirkliche Groteske, bei der der Wahrheitsgehalt undicht ist.

Wenn man allerdings die Besucher, die bei Flenner auftauchen, genauer unter die Lupe nimmt, so könnte das Absurdeste tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Ein Freund ist Maler, der seine sogenannten Schüttbilder dadurch fixiert, dass er Kistenweise Alkohol in sich hineinschüttet. Dessen Frau Juliette riskiert einen Spagat zwischen bürgerlicher und künstlerischer Welt, die Schwester des Verunfallten schließlich bringt immer einen grusligen Hauch der Kindheit in Krankenzimmer.

Während im statistisch einwandfreien Rhythmus die umliegenden Patienten sterben, scheint es mit Flenner aufwärts zu gehen. Und als er erstmals in seinem Leben ein paar Löffel Joghurt (142) schlürft, weiß er, dass er vielleicht überm Berg ist aber im künftigen Leben unten durch sein wird.

In diesen Genesungsvorgang schieben sich Erinnerungsgeschichten von sexuell abartigen Kindern, die bis in die Pubertät hinein bei der Mutter schlafen, von Taxilenkern, die ihre Passagiere mit Sprachinkompetenz zur Sau machen, oder von Literaturkritikern in Trachtenkostümen, die selbst für eine ordnungsgemäße Zeichensetzung zu frigide sind.

Vielleicht ist der dritte Bettenturm die wahre Welt, in die nur gefiltert schaurige Geschichten von der Außenwelt dringen, während es sich im Turm zwischen Wahnsinn und Sinn bestens einrichten lässt.

Teichfischer und Flenner waren Geschwister geworden. Zwei Krankenhausbrüder, die nebeneinander in getrennten Betten lagen. Sie blieben für sich, zu zweit; das leere Bett unterm Fenster war von zwei Krankenträgern aus dem Zimmer geschoben worden. (353)

Jetzt braucht es nur noch einen Sachwalter, und das Leben kann weiter gehen.
Stefan Alfare schart um den steril-letalen Kosmos des Bettenturms ein Set von aberwitzigen Figuren, die allesamt Kandidaten für den historischen Narrenturm sind. Ständig flutscht das Leben aus den angeturnten und eingespritzten Körpern, jeder ist mit seinen fixen Ideen verkabelt und hängt an einer trostlosen Infusion der Einbildung. Ein Haus voller kaputter Biographien, ein Turm, in dem alle mit einer Erzählladung gleichzeitig sediert und aufgeputscht werden. - Ein wahnwitziges Kaleidoskop schrunder Figuren.

Stefan Alfare, Der dritte Bettenturm. Roman
Wien: Luftschacht 2011, 391 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-902373-66-3

 

Weiterführende Links:
Luftschacht-Verlag: Stefan Alfare, Der dritte Bettenturm

 

Helmuth Schönauer, 08-09-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Stefan Alfare

Buchtitel

Der dritte Bettenturm

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Luftschacht

Seitenzahl

391

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-902373-66-3

Kurzbiographie AutorIn

Stefan Alfare, geb. 1966 in Bregenz, lebt in Wien.

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