Sreten, An den unbekannten Helden

Buch-Cover

Wenn die Erfindung so stark ist, dass sie vor Phantasie knackt, ist ihre Realität am größten. Sreten Ugricic, der sich der Einfachheit gleich für das nicht-serbische Publikum Sreten nennt, hat einen Roman über sein Land geschrieben, den er ausdrücklich als Nichtfiktion bezeichnet, weil er von so starker Erfindung geprägt ist.

In einer rasenden Bestandsaufnahme, worin historische Mythen genau so vorkommen wie aktuelle Wahlversprechen und touristische Prognosen, wird der unbekannte Held als Erlöser angerufen, indem man ihm die aktuelle Geschichte zu Füßen legt mit der Bitte, er solle sich das einmal ansehen.

Natürlich ist das eine eher autosuggestive Maßnahme des Erzählers, die keine Lösung bringt, denn Geschichte ist alles, was die Geschichte erlaubt. (13) Im Sinne der Musil'schen Parallelaktion wird das Attentat in Sarajewo in einem großen Spektakel nachgespielt, dabei verwandeln sich Personen in Prinzipien, Helden in Slogans, Verfassungen in Mythologien. "Die serbische Verfassung ist die knappste der Welt heißt es einmal lapidar." (115)

Das Land versinkt hoffnungslos in Agonie, die einzelnen Maßnahmen wirken wie eine Karikatur eines Staatsgebildes. So sollen Suizide als touristische Attraktion ausgeschlachtet werden, während Aussteiger in ein irreversibles Koma stürzen. Selbst die Leichname versucht man noch patriotisch zu nützen, indem man sie einer Körperverwertung zum Aufbau patriotischer Substanzen zuführt.

Die Gesellschaft diskutiert am Rande der Verblödung psychologische Experimente, etwa ob es eine telepathische Vergewaltigung gibt oder ob man in Serienversuchen Abweichungen von der sexuellen Norm feststellen kann. Manchmal freilich kommen alte Volksweisheiten zum Zug: "Lebende sind im Grab nicht willkommen". (182)

Vom Text-Bild her gesehen gibt es zwei Besonderheiten, patriotische Begriffe wie "Serbien" oder "der Diktator" werden jeweils kursiv gedruckt, damit sie als Schlüsselbegriffe sofort ins Auge springen. Und alles, was einen Hauch von Schizophrenie, Amt oder Öffentlichkeit hat, wird abgekürzt. Auf manchen Seiten wimmelt es nur so von Buchstaben-Verknotungen., die aber tapfer erklärt werden. GDÖP ist beispielsweise das Konglomerat Geheimdienst / öffentliche Polizei.

Sreten hat mit seiner apokalyptischen Utopie ein brutal-düsteres Bild über Serbien, seine Geschichte und seine geistige Gegenwart veranschlagt. Gleichzeitig stellt er auch eine Erzähltheorie vor, indem er die Nichtfiktion mit einem "Vorneweg" und "Hinterher" umklammert. Vorneweg wird erklärt, was alles Sache eines Staats-tragenden Romans sein kann, es handelt sich gewissermaßen um ein verschlüsseltes Inhaltsverzeichnis. Hinterher wird im Abspann erläutert, was alles zu Literatur transformiert werden kann. Und den besten Satz hat sich Sreten für das Ende aufgespart: Literatur ist Desinformation. - Ein wilder, kluger und archaisch durch das Hirn purzelnder Roman!

Sreten [Ugricic], An den unbekannten Helden. Roman. Nichtfiktion. A. d. Serb. von Masa Dabic, hrsg. von Nellie und Roumen Evert. [Orig.: "Neznanom junaku", Belgrad 2010]
Berlin: edition Balkan Dittrich 2011, 365 Seiten, 17,80 €, ISBN 978-3-937717-66-1

 

Weiterführende Links:
Dittrich-Verlag: Sreten, An den unbekannten Helden

 

Helmuth Schönauer, 12-09-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Sreten

Buchtitel

An den unbekannten Helden

Originaltitel

Neznanom junaku

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

edition Balkan Dittrich

Herausgeber

Nellie und Roumen Evert

Übersetzung

Masa Dabic

Seitenzahl

365

Preis in EUR

17,80

ISBN

978-3-937717-66-1

Kurzbiographie AutorIn

Sreten, geb. 1961 in Jugoslawien, ist Leiter der Serbischen Nationalbibliothek in Belgrad.

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