Arno Heinz, Vielleicht nicht ich

Buch-Cover

Die größten Geheimnisse in der Literatur haben immer damit zu tun, dass jemand seine Identität erforscht, die Rolle von Mitbewerbern beim Lebenssinn erkennt und den Ablauf von gepixelten Alltagsteilen zu einer Geschichte zusammenfügt.

Arno Heinz stellt in seiner Spurensuche letztlich alles in Frage. Der Ich-Erzähler hatte offensichtlich einen Unfall und das Gedächtnis hat gelitten. Darauf deutet der erste Teil hin, indem ständig neue Psychiater, Ärzte oder halb-kriminelle Gutachter das Hirn des Erzählers (und was davon übrig geblieben ist) erforschen wollen.

In Ihrem Zustand können Sie sich nicht an mich erinnern, ich bin Dr. Empedokles, nennen Sie mich Lorand wie vor Ihrem Unfall. (13)

Langsam kommt etwas Ordnung in das Erlebnischaos, es dürfte sich um einen Reitunfall gehandelt haben, Helden in Fernsehserien reden nur bedingt so, wie es Helden im Alltagsleben tun. Die wesentlichen Sätze der Menschheit kommen in Filmen vor, wenn man sich an die Struktur einer Filmrolle hält, kann man vielleicht Ordnung in seinen Kopf hinein kriegen.

Die Memory-Flashs werden immer wieder mit Zeichnungen, Fotographie-Fragmenten und Skizzen zu Bauten oder Landschaften unterlegt. Oft sind die Bilder mit dem Text semantisch abgestimmt, manchmal sind sie schroffe Anstöße für neue Überlegungen oder gesättigte Bestätigungen eines Gedankens. So folgt etwa auf den Satz ?Lügen sind dazu da, dass sich die Belogenen wohlfühlen (46) wie zur Bestätigung eine Collage mit militärisch aufgestellten sogenannten Heu-Mandln.

An anderer Stelle lösen sich Dimensionen eines Gebäudes wie in einer Komposition von Escher auf und bauen eine Gedankenbrücke zwischen der Architektur eines Gedankens und der sie umgebenden Landschaft. (13). Manchmal erweisen sich die Aufzeichnungen als handfestes Wissensgut, so gibt es endlich einmal eine genaue Definition des Mitterwegs.

...Fahrbahnen, die weder Straßen noch Wege waren, wurden im Fachjargon als ?Mitter-Wege? bezeichnet, von der Planung vergessene Stadtviertel nannte man "Ross-Auen". (54)

Gegen Ende kommt es zu einem Briefverkehr zwischen Ava und dem Ich-Erzähler, der sich jetzt als Ali fühlt. Aber beide Alias-Figuren sind während der Spurensuche ohnehin nur vage in diesen Rollen aufgetreten. Eigentlich haben sich der Ich-Erzähler alias Ali und Ava nicht viel zu erzählen, sie lassen auch unendlich viel Zeit verstreichen, ehe sie aufeinander antworten. Am Schluss leisten sie sich eine kleine Portion überlebenstauglichen Kitsch: "Ich will ein Kind von dir! - Du von mir? Ein Kind? - Ich möchte ein Mädchen. - Und wie soll es heißen?" (104) - Jetzt ist das verlorene Hirn wieder hergestellt, die Sätze aus der Filmwelt lassen sich nützlich und fruchtig im Alltag verwenden.

Arno Heinz führt den Leser geduldig durch das Hirn eines Helden, der sich selbst erst erschließen muss, und bei dieser Gelegenheit gleich gültige Erkenntnisse für die Allgemeinheit entwickelt. Ein verschmitztes Vexierspiel, halb ernst-philosophisch, halb ironisch wie ein Film.

Arno Heinz, Vielleicht nicht ich. Eine Spurensuche, Erzählung. Mit Fotos, Collagen und Zeichnungen des Autors
Innsbruck: Kyrene 2011, 103 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-900009-81-6

 

Weiterführende Links:
Kyrene-Verlag

 

Helmuth Schönauer, 09-09-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Arno Heinz

Buchtitel

Vielleicht nicht ich. Eine Spurensuche

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Kyrene

Seitenzahl

103

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-900009-81-6

Kurzbiographie AutorIn

Arno Heinz, geb. 1941 in Innsbruck, lebt heute vorwiegend in Paris.

Themenbereiche