stephan eibel, sternderln schaun„olle san in ihrn hirn alan“ (49) – Gedichte sind wahrscheinlich ein Überdruckventil, um den Dampf der Solitude ein wenig abzulassen.

Stephan Eibels Gedichte sind geprägt von einem Ungleichgewicht zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. Indem das Firmament mit seinen Gestirnen sich großmächtig zur Schau stellt, entwickelt sich eine gnadenlose Winzigkeit des lyrischen Ichs, wenn dieses zu schauen beginnt. „sternderln schaun“ ist also ein großes Unterfangen für kleines Werkzeug.

gerhard ruiss, reimverbote und andere schreibaufträge„Wenn etwas zum Ausdruck gebracht werden muss, lässt es sich weder durch Vermeidungen umgehen noch durch Umgehungen vermeiden.“ Gerhard Ruiss und Klaus Zeyringer arbeiten seit einem Vierteljahrhundert „so nebenher“ an der Beobachtung jener Widerstandsliteratur, die als Myzel unterhalb des öffentlichen Literaturbetriebs ausschweift und fallweise als Fruchtkörper aufschießt.

Eine Besonderheit dieser Literatur ist es, dass sie scheinbar ohne Sinn jäh auftaucht und bei Usern und Produzierenden große Freude auslöst. Vor allem die Sinnhaftigkeit macht allen Beteiligten großen Spaß, denn mit den „Reimverboten“ wird nicht nur groteske Literatur zum Leben erweckt, sondern hinterher auch noch mit einem Sinn ausgestattet.

mike markart / martin g. wanko, triestDie großen Porträts über Städte berichten nicht von den Umtrieben der Helden darin, sondern von den Anreisen, Annäherungen und Fluchten in deren Hinterland. Mike Markart und Martin G. Wanko erzählen von der magischen Stadt „Triest“ aus einer steirischen Hinterlandperspektive heraus. Die konnotierten Träume zum schroffen „Triest“ bestehen aus Meer, Stadt, Nacht und Wind.

Mike Makart nähert sich Triest in fünf Erzählungen. Dabei ist die Stadt unverwechselbar erkennbar, aber die vorgeschalteten Erlebnisfilter machen den schwärmenden, vazierenden und flanierenden Ich-Helden zum Hauptthema.

kurt drawert, alles neigt sich zum unverständlichen hinDas Thema eines jeden Langgedichts ist der Atem, nur wer den sprichwörtlich langen Atem hat, kann es lesen oder schreiben.

Kurt Drawert setzt alles auf eine Karte und arrangiert „es“ zu einem Langgedicht. Der poetische Atem wird fürs erste nur unterbrochen durch die Bewegung des Umblätterns. Ein wenig später jedoch tut sich eine erste Struktur auf: In vierzehn Paragraphen wird die Materie zerteilt wie auf einem Verschiebebahnhof, um bald darauf wieder in neuer Zusammenstellung aus dem Gedächtnis-Knoten zu rollen.

Die Paragraphen sind mit Überschriften versehen, die eine vage Richtung angeben, wohin zu denken ist. „Die Würde des Menschen ist. / Das Ypsilon der Hysterie. / Anfang + Ende. / Die letzte Stunde. Vor den Spätnachrichten. / Psalmen. Gebete.“

alexandra bernhardt, zoon poietikonManche Begriffe fußen glücklicherweise immer noch auf menschlicher Intelligenz, sie lassen sich auch durch penetrante Anrufung nicht von der Google bewältigen. Gibt man also „Zoon poietikon“ ein, so wird daraus ein „politikon“, das sich hartnäckig über dem gesuchten Begriff einnistet.

Alexandra Bernhardts Gedichte stützen sich auf dem Kanon der Lyrik, wie er in leichter Veränderung seit Jahrhunderten tradiert wird. Verszeilen aus dem Griechischen, Renaissance-Sonette, der Schalk der Romantik und die Süße des Sprachspiels sind als Schattierungen quasi in jedem Gedicht verborgen. So lassen sich ihre Texte stets zweifach lesen, einmal als ihr Original, wie es einer Tagesverfassung entsprungen ist, und einmal als Zitat für ein literaturhistorisches Setting, das dadurch geadelt und für weitere Jahrhunderte gerettet wird.

dieter sperl, an so viele wie michStell dir eine Zimmer-große Kiste vor, darin sind lauter Scharniere eingelagert. Wenn du sie einzeln verwendest, kannst du alles damit beweglich und mehrdeutig gestalten. Dieter Sperl verschenkt eine ganze Charge solcher Scharniere, er nennt sie Traumnotizen und es geht um diese bewegliche Naht zwischen Traum- und Tages-Wirklichkeit. „An so viele wie mich“ eignet sich bestens als Titel, denn diese Fügung lässt sich vorne und hinten ausbauen zu einem multiplen Ereignis.

Wahrscheinlich sollte man den Begriff „Traumnotizen“ verschiedenen Bedeutungsfeldern zuweisen, einmal sind es wohl Notizen, die jemand im Umfeld eines Traums gestaltet hat, andererseits kann es sich auch um Notizen handeln, die Lesende zum Träumen bringen, ja sogar der Autor selbst kann die Texte für höchst gelungen halten, im Sinne von Traum-Urlaub, Traum-Angebot. Und schließlich weist der Traum-Begriff auf etwas Kollektives hin, das von der Gesellschaft teils träumerisch, teils traumatisiert bewältigt wird – die Pandemie.

klaus ebner - klaus ebner porträtLiliput ist in seiner Urform eine fiktive Insel in Swifts Roman Gullivers Reisen. Später hat sich unter diesem Namen die Idee durchgesetzt, eine große Welt überschaubar zu machen, indem man sie verkleinert, bis sie auf einem Handteller Platz hat.

In der literarischen Serie „Podium Porträt“ wird die große Welt der Poesie heruntergebrochen auf einen wesentlichen Gedanken, der einer porträtierten Person als Lebensmotto dienen könnte. Das „Liliput“-Format in Postkartengröße und im Umfang von 66 Seiten (wie einst bei den Perry- Rhodan-Heften) ermöglicht es, das jeweilige Porträt als Visiten- und Grußkarte unter Freunden zu verschicken. Und wie in den klassischen Fußballer-Sammlungen von Panini werden die lyrischen Stars mittlerweile gehandelt, gelesen und getauscht.

nikolaus scheibner, ethik der künstlichen intelligenzWenn die Gedichte an die künstliche Intelligenz ausgelagert sind, bleibt dem Individuum nur mehr die Ethik, um sich bemerkbar zu machen. Aber was ist, wenn auch die Ethik der künstlichen Intelligenz untergeordnet wird?

Nikolaus Scheibner kämpft mit „echten“, „selbstgemachten“ Gedichten gegen die künstliche Intelligenz an, die er letztlich als Epoche der Menschheit empfindet, wie früher Stein oder Bronze den Evolutionsschüben der Menschheit einen Namen gegeben haben. Folglich sind die Gedichte auch in Zyklen eingereiht, die auf diese Epochen rekurrieren. Holz / Stein / Kupfer / Eisen / Plastik.

edgar hättich, mondsichelbootNichts ist so groß wie ein Wort, das aus einem weiten Bild heraus verdichtet worden ist. Edgar Hättich nimmt aus den Nächten eines langen Lebens jenen Augenblick ins Auge, wenn für einen kurzen Augenblick der Mond andeutet, dass er seine Überfahrt durch die Nacht beginnen wird. „Mondsichelboot“: Für das lyrische Ich wird es Zeit, die Gedichte an jenen Fensterflügeln anzulehnen, die die Kühle regeln während des Schlafs.

„im zeichen untergehenden lichts überm kogel / erwacht meine lebenslust / im blau die goldene sichel / wird bald dein boot / gondoliere mond / lass mich einsteigen / führ mich hinaus ins himmelmeer“ (35) Diese Gelassenheit ist der Auswuchs einer langen Gedankenkette, die sich vielleicht schon über Jahrzehnte hinzieht. In die poetische Schnur sind ab ab und zu größere Fügungen eingelagert, die wie Bojen die Orientierung erleichtern, wenn das Mondsichelboot unterwegs ist.

ulrichc schlotmann_vivat vivat hoher priesterDen dauerhaftesten Eindruck erwecken meist jene Bücher, die beim ersten Durchblättern als Anstrengung empfunden werden. Der erste Eindruck, nämlich – fett, schwer, barock und schelmisch verzweigt – bleibt ein Leben lang, auch wenn sich später in der Lektüre zunehmend konkret fixierter Sinn einstellt.

Ulrich Schlotmann legt jedenfalls ein fettes Buch vor, wie das in der Rezeptionsästhetik gerne genannt wird. Schon im ersten Satz ist alles klar, was ja kein Wunder ist, es gibt nämlich nur einen Satz, welcher sich absatzlos auf fast dreihundert Seiten erstreckt. Am hinteren Cover wird dieses Textgebilde als „Wort- und Satzprozession“ empfohlen.