Edgar Hättich, Mondsichelboot

edgar hättich, mondsichelbootNichts ist so groß wie ein Wort, das aus einem weiten Bild heraus verdichtet worden ist. Edgar Hättich nimmt aus den Nächten eines langen Lebens jenen Augenblick ins Auge, wenn für einen kurzen Augenblick der Mond andeutet, dass er seine Überfahrt durch die Nacht beginnen wird. „Mondsichelboot“: Für das lyrische Ich wird es Zeit, die Gedichte an jenen Fensterflügeln anzulehnen, die die Kühle regeln während des Schlafs.

„im zeichen untergehenden lichts überm kogel / erwacht meine lebenslust / im blau die goldene sichel / wird bald dein boot / gondoliere mond / lass mich einsteigen / führ mich hinaus ins himmelmeer“ (35) Diese Gelassenheit ist der Auswuchs einer langen Gedankenkette, die sich vielleicht schon über Jahrzehnte hinzieht. In die poetische Schnur sind ab ab und zu größere Fügungen eingelagert, die wie Bojen die Orientierung erleichtern, wenn das Mondsichelboot unterwegs ist.

# allein mit gedanken (7)
# dass hier im trüben gefischt wird (19)
# leicht hergeweht – leicht weggefegt (29)
# kein echo von oben (41)
# was dir das leben bereit hält (55)

Diese fünf Überschriften fassen die fünf Wellen zusammen, die das lyrische Personal umfluten. Meist tritt dieses als literarisches Ich auf, dann wieder als unsichtbares Du, oder als feierliches Publikum, das anlässlich eines kostbaren Augenblicks angesprochen wird.

Wie ein Inhaltsverzeichnis ergießen sich die Kapitelüberschriften über dies Gedichte. Die Gedanken sind intim im Alleinsein verkapselt, dümpeln im trüben Gewässer dahin, werden von der Witterung verblasen, von keinem Radar oder Echolot erfasst, und entlassen die Suchenden mit ein paar wenigen Sätzen. „Was dir das Leben bereit hält“ ist eine individuelle Botschaft, wie sie Kafkas Türhüter parat hat, wenn der Herumirrende vor ihm auftaucht.

Den Schlussakkord bildet ein altrömisches Mosaik, das von Ganymed berichtet, wie er nackt und unbekümmert seinen Speer nach den Göttern wirft, durchaus vergleichbar mit einem Lyriker, wenn er sein letztes Gedicht in den Himmel schießt, wörtlich übersetzt als „Ganz-Froher“.

Auf das einfache Leben übertragen haben im Alter jene Motive Bestand, die sich Nacht für Nacht über das Kraut des Alltags erheben.

Dabei beginnt jeder Tag mit einer Formel der Ermunterung: „Aufwachen, staunen, ein neuer Tag!“ (62). Bald tauchen die ersten Bilder auf, die es nicht bis zum Abend hin schaffen werden, sodass sie bestand hätten vor der nächsten Nacht. Eine Straßenbahn hält von Zeit zu Zeit, manchmal purzeln Menschen heraus. die Fensteraugen sehen ihnen dabei zu, dahinter verbirgt sich jener, der dem Ganzen das passende Gedicht fügt hinzu. (66)

Die Gedichte schütteln jenen Wortglitter aus, der sacht zu Boden fällt und dabei die Bedeutung wechselt. Das Rätsel der Nacht wird mit dem Turmuhrschlag gelöst, wenn das lyrische Ich in Gedanken mitzählt für sich allein. Am Morgen blickt es in den Dichterspiegel, halb Gedicht, halb Gesicht, „ich nehme es an“. (12)

Über die Tage ist ein ständiges Memento eingestreut, es bricht sich Bahn in Sprichwörtern und Sätzen aus längst vergangenen Zeiten. „Wehrhaft muss sein / der nächste Krieg.“ (24) Noch während die alten Sätze sortiert werden, ist schon der neue Krieg da, worin die Sätze wieder aufblühen mit Eisen und Tod. Das Individuum wartet auf den gerechten Krieg mit Beten, und findet kein Amen.

Gewitzte Leser suchen bei jedem Lyrikband nach dem Vogelmotiv, das den Gedichten den letzten Schliff verleiht, indem der Vogel ja als Sinnbild der flüchtigen Zeit gilt, die aus der Luft zu Boden fällt. „Weit voneinander entfernt / sprechen wir eindringlich aufeinander ein / ein Vogelpaar steckt blind die Köpfe zusammen“ (78)

Edgar Hättich beobachtet sein eigenes Treiben mit jener Ironie, die sich aus der Distanz entfaltet. Seine Vögel verstummen zu einem Seitenmotiv, damit dem Wesen der Gedicht-Schreibung Genüge getan ist. Sein lyrisches Personal weiß um den leeren Klang falsch getakteter Worteinsätze,

liebe die leeren takte / lass gut sein wie es ist. (84)

Edgar Hättich, Mondsichelboot. Gedichte
Wien: Verlagshaus Hernals 2023, 87 Seiten, 23,90 €, ISBN 978-3-903442-41-2

 

Weiterführender Link:
Verlagshaus Hernals: Edgar Hättich, Mondsichelboot

 

Helmuth Schönauer, 24-11-2023

Bibliographie

AutorIn

Edgar Hättich

Buchtitel

Mondsichelboot. Gedichte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Verlagshaus Hernals

Seitenzahl

87

Preis in EUR

23,90

ISBN

978-3-903442-41-2

Kurzbiographie AutorIn

Edgar Hättich, geb. 1929 in Leibertingen, Studium Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte in Innsbruck, lebt in Klagenfurt.