Alexandra Bernhardt, Zoon poietikon
Manche Begriffe fußen glücklicherweise immer noch auf menschlicher Intelligenz, sie lassen sich auch durch penetrante Anrufung nicht von der Google bewältigen. Gibt man also „Zoon poietikon“ ein, so wird daraus ein „politikon“, das sich hartnäckig über dem gesuchten Begriff einnistet.
Alexandra Bernhardts Gedichte stützen sich auf dem Kanon der Lyrik, wie er in leichter Veränderung seit Jahrhunderten tradiert wird. Verszeilen aus dem Griechischen, Renaissance-Sonette, der Schalk der Romantik und die Süße des Sprachspiels sind als Schattierungen quasi in jedem Gedicht verborgen. So lassen sich ihre Texte stets zweifach lesen, einmal als ihr Original, wie es einer Tagesverfassung entsprungen ist, und einmal als Zitat für ein literaturhistorisches Setting, das dadurch geadelt und für weitere Jahrhunderte gerettet wird.
Beim „Zoon poietikon“ könnte man also grob von poetisierten Lebewesen sprechen, die in Gestalt von fünfzig Gedichten sich zu einem Tier-Atlas von Lebensformen ausgebreitet haben. Diese etwa um die zehn Zeilen langen „Tierporträts“ treten alphabetisch von Adler bis Zebra auf und vermitteln fürs erste ein unbekümmertes Inventar von Tierarten, mit denen sich der Mensch seit Jahrhunderten angelegt hat.
In ein paar Jahrzehnten, ist zu vermuten, werden diese Tierarten alle ausgestorben sein, was ihren poetischen Glanz vermutlich erhöhen wird. Den aktuell besungenen Tieren sind lakonisch zwei renommierte Einschätzungen der Arten-Lage vorangestellt. Platon nennt den Menschen ein „zweibeiniges Tier ohne Federn“, und Lord Byron kommentiert die Evolution knapp in Schlagzeilen:
Staaten zerfallen, Künste schwinden – Natur aber vergeht nicht. (9)
Die ausgewählten lyrischen „Protagonisten“ haben neben ihrer evolutionären Eigenentwicklung auch permanente Ausrottung, Vernützlichung oder Zähmung durch den Menschen erfahren
Der Adler (11) im ersten Gedicht hat dabei noch ziemliches Glück, dass er oft als Wappentier und Orden verwendet wird. In der poetischen Darstellung sind die zwölf Verse linksbündig gekantet und stechen dadurch nach rechts wie die Umrisse eines Adlers ins Papier. Der Text gleicht einem Gebet oder einer Huldigung: „Der / du bist / zu kreisen / auszubahnen / zu ermessen / Schluchten Wasser / Höhen : aufgestiegen / in die Himmel /auszuweiden / rohe Erde : / Luft zu / sein“.
Dem Hermelin (51) ergeht es schon weniger naturfrisch, auch wenn er von einer gewissen Erhabenheit profitiert, indem er um den Hals von Hohen Gerichten gewickelt mit diesen gepuderten Perücken Recht spricht.
Von hohen Gnaden ganz umgürtet […]
In sogenannten Naturfilmen wird den Tieren oft eine Handlung unterlegt, die kurz vor Filmende mit einer heftigen Paarung endet. Hingegen verzichten die Plots von lyrischen Tierschicksalen auf diese Handlungen und kulminieren in Bildern und Motiven, die aus den Lebenszyklen der Tiergattungen straff herausdestilliert sind.
Das Wesen der Amsel (13) ist verdichtet zu einem fliegenden Stein, der in den Frühwind geschlagen ist. Die Amsel ist im Gedichtband freilich nicht für sich allein gestellt, sondern konnotativ mit dem Adler und dem Armadillo verbunden, welche sie als Motivkette umklammern. Das Gürteltier seinerseits nimmt von der Amsel das Klumpige eines Steins und gibt es, nachdem es sich in seinem Panzer verkrochen hat, anstandslos an den Axolotl weiter, der im anschließenden Gedicht das Kauern in Höhlen zelebriert.
In dieser spielerischen Form greift die Schöpfung recht ungewöhnlich in einander, aber es wird das Wesen der Biodiversität auch poetisch ersichtlich: Nimmst du auch nur einen Helden dieser tierischen Ahnengalerie vom Haken, bricht dir quasi das gesamte Bild von der Welt zusammen.
Das Aufrufen der einzelnen Tier-Helden evoziert auch gleich ein Stück Menschheitsgeschichte, die Tiere sind ja über Jahrtausende nicht nur beschrieben und gezeichnet worden, sondern auch in die Rituale und Kulte der Menschen eingegangen.
Am Beispiel des „Wolf-Gedichtes“ zeigt sich überraschend deutlich, was es mit den heiß diskutierten Wolfsrissen und Wolf-Entnahmen poetisch auf sich hat.
„Wolf // Ist / umschlichen / umsteht : umgeht / ist entwichen besser / nicht in Meuten zu / suchen : ist waldkarg / Wiedergänger ältesten / Adels : steht ehern / gegen er trifft / dich von / vorn“ (107)
Achtung, Würde, Partnerschaft sind die Grundstimmung dieser Gedichte, die durch die Preisung der Lebewesen als „Zoon poietikon“ den Menschen klein halten in seinem Wahn, alles in Literatur verwandeln zu können. Die Weltordnung des Sprach-Fleisches ist für Augenblicke auf den Kopf gestellt, wie es im Vor-Gedicht heißt.
„Der Mensch / ein Tier / gemacht / dem Wort / gesponnen / aus dem / Widersinn / gedacht / der Sprache / machtvoll / Fleisch“ (7)
Alexandra Bernhardt, Zoon poietikon. Gedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2024, 109 Seiten, 12,00 e, ISBN 978-3-903125-86-5
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Alexandra Bernhardt, Zoon poietikon
Wikipedia: Alexandra Bernhardt
Helmuth Schönauer, 28-04-2024