Belletristik

Janus Zeitstein, Morphopoetische Rhapsodie

h.schoenauer - 24.02.2025

janus zeitstein, morphopoetische rhapsodieAuch für Bücher gilt: das Unerwartete macht oft die größte Freude. Janus Zeitstein stiftet mit seiner „Morphopoetische Rhapsodie“ einen Moment lang Verwirrung, um dann die Leser mit beinahe magnetischem Glücksversprechen ins Buchinnere zu ziehen.

Dabei dient der Titel als Programm: a) Rhapsodie als Genre für Bruchstückhaftes oder aus losen Teilen Zusammengeflicktes, b) morphopoetisch als freie Erscheinungsform der Poesie. Zusammengesetzt ergibt sich ein positiv geladener Begriff, der ähnlich einem Medikament schon durch das laute Ablesen seines Markennamens einen Heilungsprozess in Gang setzt.

Joachim Gunter Hammer, Siebzehnstein

h.schoenauer - 14.02.2025

joachim gunter hammer, siebzehnsteinEin Geograph stellt sich die Poesie vielleicht als Gebirge vor, in das verschiedene Adern von Erzen eingelassen sind, ein Mathematiker als eine Formel, in der ständig neue Unbekannte auftreten, und ein Zoologe vielleicht als Schatten von Vögeln, die gerade ausgestorben sind.

Alle diese Zugänge sind bei Joachim Gunter Hammer zu einem sprachlichen Strang verknüpft, der letztlich auf Zug hin ins Ungewisse gespannt ist. Seit beinahe dreißig Gedichtbänden löst der Autor Fasern aus Gedankengebilden heraus, wie sie einzelne Fakultäten an den Unis lehren. Er verquirlt sie zu bislang unentdeckten Versen, die scheinbar immer schon da sind. Sie warten auf das Geschürft-Werden, mal knapp an der Oberfläche von Papier, dann wieder in der Tiefe eines Gedichtbandes, der Leser soll sich auf Überraschungen einstellen.

Simon Konttas, Stille Stunden

h.schoenauer - 15.01.2025

simon konttas, stille stundenStille ist in der Literatur ein magischer Raum, der das Ich umschließt, ohne es zu bedrücken. Im Gegenteil, Stille fordert die Reduktion auf das momentan Wesentliche geradezu heraus. Die Dauer dieses Zustands kann ein paar Tage dauern wie bei der „Stillen Zeit“ um Weihnachten herum, oder einer ganzen Epoche den Stempel aufdrücken, wie in Henry Millers Roman „Stille Tage in Clichy“.

Simon Konttas schickt das lyrische Ich in den Modus von „Stillen Stunden“, die daraus resultierenden Gedichte handeln einerseits von Ereignissen, an denen sich die Stille bricht, andererseits ermöglichen sie den Lesern, selbst die Konsistenz stiller Stunden zu erleben.

Michael Stavarič, Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit

h.schoenauer - 22.12.2024

michael stavaric, die  suche nach dem ende der dunkelheit„Wir verhielten uns wie Grasbüschel, die überall dort auftauchten, wo es ihnen gefiel. In den Fugen zwischen den Betonplatten.“ (27)

Michael Stavarič gilt als Meister fragiler Texte über das vergebliche Heimisch-Werden zwischen Orten und Kulturen. Nach seiner Theorie kann ein Individuum noch innerhalb des Ortsschildes zu einem ausgestoßenen Wesen werden, während es andererseits an einem Ort, an dem es noch nie gewesen ist, bodenständig werden kann. Diese migrantische Bewegung gilt auch für literarische Genres. Der Autor ist überall zu Hause und doch nirgends sesshaft abgelegt.

Die Gedichte sind selbst Fabelwesen der Literatur, wenn sie von einem „Wir“ berichten, das in erster Linie einen getragenen, suchenden Ton vor sich herschiebt. Diesen Kommentar-Ton kennen wir aus Reisedokumentationen im Fernsehen, wenn Redakteure sich auf fremden Hochzeiten in entlegenen Ländern mit Einheimischen verbünden, um im kollektiven Wir zu berichten, dass auf Reisen alle optimistisch gelaunt sind.

Eleonore Weber, Landkarte im Maßstab 1:1

h.schoenauer - 20.12.2024

elonore weber, landkarte im maßstab 1 zu 1Die größte Glaubwürdigkeit über die Verfasstheit einer Botschaft, Nachricht oder Erzählung erweckt die Zauberformel 1: 1. Nicht nur vor Gericht erweckt eine Aussage große Authentizität, wenn sie angeblich im Maßstab 1:1 wiedergegeben wird, auch in der Weltliteratur erreicht die Glaubwürdigkeit beim Erzählen ihren Peak, als Jorges Luis Borges von einer Landkarte 1:1 spricht, die durch ihre Maßzahl an Genauigkeit nicht übertroffen werden kann. Von dieser Überlegung leitet sich auch die These ab, dass die ideale Bibliothek eins zu eins der Welt entsprechen müsse, um sie abzubilden.

Eleonore Weber erweitert diesen Gedankengang mit ihrer Sammlung von zwölf Geschichten, die diesem magischen 1:1 unterworfen sind. Eine ideale Erzählung gleicht daher in ihrer Dauer dem erzählten Stoff, eine darin eingewobene ideale Zeichnung entspricht in Größe und Schraffur dem abgezeichneten Original, und auf der Netzhaut sollten Land und Karte den gleichen Reiz für das Gehirn auslösen.

Martin Winter, WAH! 哇!

h.schoenauer - 13.12.2024

martin winter, wahEin Laut, ein Seufzer, ein Schnauben der Verachtung – in der Lyrik erwächst aus einem kleinen Zeichen ein großer Vorgang.

Martin Winter stellt das gesamte Jahr 2017 unter dieses Zeichen WAH!, das von vorneherein magisch wird, wenn es von drei Sprachen umkreist ist. Die Gedichte „handeln“ vom Ablauf eines Jahres und „spielen“ im Kopf eines lyrischen Ichs, das ständig zwischen den Sprachen hin und her schaltet. Um für die Leser ein wenig Orientierung anzubieten, sind die Texte in vier Sprachblöcke unterteilt. German Poetry (5) / English Poetry (81) / Chinese Poetry (125) / Mixed Up Poetry (143).

Da das Schlüsselgedicht „WAH!“ in allen Abteilungen vorkommt, ist zu vermuten, dass der  Stoff der Gedichte in allen Sprachen ähnlich abgehandelt ist. Als Leitmotiv ist jedenfalls fix der Mond installiert, der als Lampion, Banane, Fenster oder Lichtquelle regelmäßig vorbeischaut. Womöglich unterliegt er einer eigenen Regel, wie das „Regelgedicht“ vermuten lässt.

Gundi Feyrer, Sätze, die Gedanken regnen

h.schoenauer - 10.12.2024

gundi feyrer, sätze die gedanken regnenSoll man sich über ein Buch darüber trauen, wenn es sich laut Gebrauchsanleitung dabei um Elemente aus der Quantenphysik und der Kabbalah handelt?

Gundi Feyrer sagt ja, denn mit Analogien zu diesen beiden luftigen Gedankendepots lässt sich die Welt wundersam neu erzählen und verstehen. Mit der bestechenden Zauberformel von „Sätzen, die Gedanken regnen“ wird jäh eine und intellektuell-emotionale Großwetterlage geschaffen.

Die beiden Quellen für das Ausregnen-Lassen von Sätzen sind die Quantenphysik, die vom Quanten-Guru Anton Zeilinger einmal als Intuition bezeichnet wird; sowie die Kabbalah, die „als Sprach-Mystik und Sprach-Philosophie vom Wort-Material ausgeht und Buchstabenkombinationen als Verkleidung sieht“. (73)

Mario Hladicz, Tag mit Motte

h.schoenauer - 06.12.2024

mario hladicz, tag mit motteGedichte sind unter anderem dazu da, die Zeit anzuhalten und die darin aufgestapelten Vorgänge einzumotten. Gedichte sind die idealen Mottenkugeln, heißt es in einer gängigen Anleitung für Alltagslyrik.

Mario Hladicz greift diese Theorie auf, und überschreibt seine Gedichte mit „Tag mit Motte“. Darin ist subsumiert, dass in den Gedichten der Ablauf der Zeit angehalten und für die Konservierung tauglich gemacht wird. Dass dann die Gedichte wie Motten unerwartet aus dem Depot fliegen, ist beabsichtigter Kollateralschaden.

„Tag mit Motte // Es ist nämlich so erst passiert wenig bis / nichts so bis um sieben halb acht dann / flattert sie an mir vorbei und malt mit / jedem Flügelschlag das Fenster aus mit / Licht das macht das Aufstehen erträglich“ (50)

Stephan Eibel, sternderln schaun

h.schoenauer - 22.10.2024

stephan eibel, sternderln schaun„olle san in ihrn hirn alan“ (49) – Gedichte sind wahrscheinlich ein Überdruckventil, um den Dampf der Solitude ein wenig abzulassen.

Stephan Eibels Gedichte sind geprägt von einem Ungleichgewicht zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. Indem das Firmament mit seinen Gestirnen sich großmächtig zur Schau stellt, entwickelt sich eine gnadenlose Winzigkeit des lyrischen Ichs, wenn dieses zu schauen beginnt. „sternderln schaun“ ist also ein großes Unterfangen für kleines Werkzeug.

Gerhard Ruiss / Klaus Zeyringer, Reimverbote und andere Schreibaufträge

h.schoenauer - 14.10.2024

gerhard ruiss, reimverbote und andere schreibaufträge„Wenn etwas zum Ausdruck gebracht werden muss, lässt es sich weder durch Vermeidungen umgehen noch durch Umgehungen vermeiden.“ Gerhard Ruiss und Klaus Zeyringer arbeiten seit einem Vierteljahrhundert „so nebenher“ an der Beobachtung jener Widerstandsliteratur, die als Myzel unterhalb des öffentlichen Literaturbetriebs ausschweift und fallweise als Fruchtkörper aufschießt.

Eine Besonderheit dieser Literatur ist es, dass sie scheinbar ohne Sinn jäh auftaucht und bei Usern und Produzierenden große Freude auslöst. Vor allem die Sinnhaftigkeit macht allen Beteiligten großen Spaß, denn mit den „Reimverboten“ wird nicht nur groteske Literatur zum Leben erweckt, sondern hinterher auch noch mit einem Sinn ausgestattet.