Joachim Gunter Hammer, Siebzehnstein

h.schoenauer - 14.02.2025

joachim gunter hammer, siebzehnsteinEin Geograph stellt sich die Poesie vielleicht als Gebirge vor, in das verschiedene Adern von Erzen eingelassen sind, ein Mathematiker als eine Formel, in der ständig neue Unbekannte auftreten, und ein Zoologe vielleicht als Schatten von Vögeln, die gerade ausgestorben sind.

Alle diese Zugänge sind bei Joachim Gunter Hammer zu einem sprachlichen Strang verknüpft, der letztlich auf Zug hin ins Ungewisse gespannt ist. Seit beinahe dreißig Gedichtbänden löst der Autor Fasern aus Gedankengebilden heraus, wie sie einzelne Fakultäten an den Unis lehren. Er verquirlt sie zu bislang unentdeckten Versen, die scheinbar immer schon da sind. Sie warten auf das Geschürft-Werden, mal knapp an der Oberfläche von Papier, dann wieder in der Tiefe eines Gedichtbandes, der Leser soll sich auf Überraschungen einstellen.

Im aktuellen Band wird das lyrische Ich von einem „ungeheuren Spiegel“, halb Teleskop, halb psychologische Couch, „Siebzehnstein“ genannt, mit einem Auftrag betraut, der das schnelle Umschalten von vorwärts auf rückwärts erfordert. Diese noch während der Formulierung upgedatete Aufgabenstellung beinhaltet das System Sisyphus: „Jeden Tag als Aporie einen Stein zu durchbohren!“

Unter dem Titel „Siebzehnstein“ fungiert eine lyrische Person, die fallweise eins mit den Gedichten ist. Unter Siebzehnstein kann ein Genre gemeint sein, das sich in Sisyphus-Manier die poetischen Zähne an der Welt ausbeißt, eine Chronik, in der diverse Jahreszeiten zu einem Abenteuer der Erkenntnis zusammengefügt sind, und schließlich eine Personalie, denn neben dem Autor kann auch der Leser zu einem „Siebzehnstein“ werden mit Aussicht auf Weisheit, Marke Stein der Weisen.

In drei Eingangs-Episoden zur Genese wird die Metawelt zu den Gedichten angerissen. Der ungeheure Spiegel gibt das Programm vor, das in siebzehn Erdumdrehungen als Hieroglyphen-Skulptur aus der Sonne fällt, ehe der Abendspiegel den Helden erblinden lässt.

Die gut 120 Gedichte blitzen meist als Lichtstrahlen jäh aus der poetischen Materie, manchmal nehmen sie einen lyrischen Dichter aus der echten Literaturwelt mit als Widmungs-Paten, damit ihr zaghaftes Licht nicht vorzeitig erlischt, ehe sich diese Gedichte zu einer Themenwolke verdichten können, um es anschließend ordentlich abregnen zu lassen.

Diese „Blitzgedichte“ treten als Tags im Traum auf, sodass sie jederzeit wiederzufinden wären bei Tageslicht, aber seltsamerweise haben diese Träume die Eigenschaft, dass sie nur einmalig auftreten und samt ihren Markierungen verschwinden. Jedenfalls suggerieren die Tags eine verlässliche Ordnung in einem unzuverlässigen System und evozieren die Beschaulichkeit alter Kastenkataloge, in deren Reitern sich bereits Insekten eingenistet haben.

Eine ähnliche Ordnung vermittelt die Anleitung „Schach mit Wörtern spielen“, die Logik der einzelnen semantischen Züge garantiert freilich noch kein Schachmatt, das in diesem Bild mit absolutem Schweigen einhergeht. (9)

Eine dritte bemerkenswerte Gliederung zeigt sich bei sogenannten Rundgängen. Der Held unternimmt als Flaneur Rundgänge durch die Jahreszeiten, Kalenderlandschaften oder Zellkerne von mikroskopischen Darstellungen.

„Bitte dunkle Wellen, reitet / mich später ins Leben nicht wieder zurück, / wozu sollte ich mir ein weiteres / in radikaler Trennung wünschen, / erneut auf einem Narrenschiff / Schlagseite nachtwärts?“ (96) Die Gedanken während eines Rundgangs im August bleiben am Bild hängen, wonach es keinen Unterschied macht, das Schicksal von Tieren mit jenem von Menschensteinen zu vergleichen. Und später im Jahr wird das Leben selbst ein letztes Fragezeichen ansteuern. „So nimmst du jetzt den Hut, / und gibst den größten Schatz, das Leben / ab zur letzten Ruhe / in die hölzerne Truhe, / sprachlos, kalt und starr, / so ist es eben, gut / und schön und wahr?“ (125)

Zur selbst-irritierenden Schlauheit des „Siebzehnstein“ gehören diese Fragezeichen als Fade-Out, worin die Botschaft hinausgeführt wird aus jedem gesicherten Messbereich. „Als suchte Siebenstein entrückt / im Vogelzug nach seinen Wurzeln.“ (6)

Und fein versteckt zwischen den Zeilen machen sie sich wieder bemerkbar, die Helden des Hammerschen Kosmos: Diese Weisheiten von Taifuno und Chao-tse, die seit Jahrzehnten zwischen den Gedichtfugen von Joachim Gunter Hammer aufgepinnt sind mit dem Bewusstsein, dass diese Sätze auch nach Jahrzehnten noch nicht bleich sein werden.

Unfrei, wer / keinen Vogel hat. / Chao-tse (21)

Joachim Gunter Hammer, Siebzehnstein. Gedichte
Wien: Verlagshaus Hernals 2024, 131 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903442-64-1

 

Weiterführende Links:
Verlagshaus Hernals: Joachim Gunter Hammer, Siebzehnstein
Wikipedia: Joachim Gunter Hammer

 

Helmuth Schönauer, 28-09-2024

Bibliographie
Autor/Autorin:
Joachim Gunter Hammer
Buchtitel:
Siebzehnstein. Gedichte
Erscheinungsort:
Wien
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
Verlagshaus Hernals
Seitenzahl:
131
Preis in EUR:
20,00
ISBN:
978-3-903442-64-1
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Joachim Gunter Hammer, geb. 1950 in Graz, lebt Edelstauden.