Gesellschaft | Kultur

Werner Schandor, Die Sterne sehen heut‘ sehr anders aus

h.schoenauer - 17.10.2025

Werner Schandor, Die Sterne sehen heut‘ sehr anders ausEin mitreißendes Buch erkennt man nach gängiger Bibliothekskunde daran, dass die Leser während der Lektüre aufspringen und Bewegungen der Verzückung, Entspannung oder Ekstase ausführen. Werner Schandor berichtet mit seinem „Sternchen-Buch“ vom mitreißenden Abenteuer Sprache, das die Menschen immer dann in den Bann zieht, wenn sich niemand mehr auskennt, weil sich ein Trend verselbständigt hat.

Der Untertitel „Genderfolklore und Medienklischees“ deutet bereits die Methode an, mit der man dem großen Verwirrspiel beim gender-gerechten Sprechen entgegentreten könnte: Mit Kabarett-Dramaturgie nämlich.

Christine Hochgerner, Aus der Spur

h.schoenauer - 15.10.2025

Christine Hochgerner, Aus der SpurAuf der Suche nach dem Sinn des Lebens kreuzen sich meist zwei Denkschulen. Nach der einen geht es darum, seiner eigenen Spur aus Bildung, Lebensplanung und Glücksaufbereitung möglichst unbeirrt treu zu bleiben, die andere spricht davon, dass man seine eigene Spur verlassen muss, um quasi vom Zufall unterstützt die wahre Richtung zu finden, die einem guttut.

Christine Hochgerner mischt in ihrem Roman „Aus der Spur“ eine Handvoll Menschen zusammen, die es rund um den Ruhestand noch einmal ordentlich aus der Spur weht. Die Hauptlast des Erzählstrangs trägt dabei die katholisch geprägte Hedwig, bei der sich nach dem Tod ihres Mannes noch einmal die Fenster für ein neues Leben auftun. Ihr Name konnotiert, dass sie als knapp Sechzigjährige eine Kohorte vertritt, die in einem festen Koordinatensystem an Sozialisation herangereift ist. So landen wie von selbst die Schicksalsschläge der anderen Protagonisten bei ihr, gilt sie doch als stabile Seele in einem wackelig gewordenen Wertesystem.

Lucas Cejpek, Du siehst Gespenster und nichts in der Minibar

h.schoenauer - 13.10.2025

Lucas Cejpek, Du siehst Gespenster und nichts in der MinibarJeder aufregende Essay ist letztlich eingezwängt zwischen den Extrempositionen der Schwarzmalerei und der Abgeschnittenheit vom erhellenden Stoff.

Lucas Cejpek verpackt diese Beklemmung in einen wunderbaren Titel. Einerseits wird die Schwarzmalerei relativiert mit der landläufigen Fügung „Du siehst Gespenster“, andererseits wird die desaströse Stimmung angesprochen, wenn im Hotelzimmer zwar der Kühlschrank brummt, aber nichts in der Minibar ist. Wie soll das Individuum etwas Vernünftiges denken, wenn es vom Stoff abgeschnitten ist?

Ilse Kilic, Alter Ego. Mutprobe mit Zugaben

h.schoenauer - 10.10.2025

Ilse Kilic, Alter Ego. Mutprobe mit ZugabenUm sensible Daten aus dem Inneren einer Figur herauszukriegen, bieten sich zwei bewährte Methoden an: der Innere Monolog und das Alter Ego.

Ilse Kilic verwendet den Kunstgriff mit dem Alter Ego ironisch und setzt den Begriff wie in einem Lehrbuch gleich in den Titel. Das Lehrbuch ist das Lieblingsgenre der Autorin, da lässt sich der Sachverhalt schön in logischen Portionen darstellen und mit spritzigen Zeichnungen unterlegen. Das Thema ist dieses Mal das Altwerden.

Rhea Krčmářová, Tagebruch / Instant

h.schoenauer - 06.10.2025

Rhea Krčmářová, Tagebruch / InstantLyrik ist unter anderem ein Vorgang, der zu Gedichten führt. Die Manifestation als Gedichtband ist einerseits eine Aktualisierung, die sich bei jedem Aufschlagen des Bandes neu inszeniert, andererseits eine Konservierung einer Aktion für Büchereien und Archive.

Rhea Krčmářová nennt ihr Projekt, das aus dem Zusammenführen von Aktionismus, Bildgestaltung und dramaturgischer Analyse von Abläufen besteht: „Tagebruch / Instant“. Im Vorspann ist der Hinweis angefügt, dass es sich dabei um eine Kunstform handelt, wonach Texte „on the go“ ins Handy getippt werden, um gleich darauf auf Instagram zu erscheinen.

Francesco Gubert, Weiche Butter, raue Hände

h.schoenauer - 03.10.2025

Francesco Gubert, Weiche Butter, raue HändeIn den Alpen gibt es ein ständiges Ringen darum, welches A-Wort die Kinder als erstes aussprechen: Auto oder Alm. Beides sind mythologisch hinterlegte Glücksvorstellungen, die vor allem eins sind – ein Riesengeschäft.

Francesco Gubert steuert mit seinem Erfahrungsbericht „Weiche Butter, raue Hände“ eine rare Hintersicht auf den Mythos Alm bei. Vor Jahren hat er selbst als Saison-Senner Käse und Butter gemacht und auf das anvertraute Vieh geschaut. Sein Bericht ist im literarischen Ton eines geforderten Helden gehalten, der selbst nicht weiß, wie die Sache ausgeht.

Sophie Reyer, Leerstellenkind

h.schoenauer - 29.09.2025

Sophie Reyer, LeerstellenkindEine leere Stelle kann durchaus schmerzen, bis sie mit einem Bindemittel ausgefüllt ist. Schreibende berichten vom Schmerz der leeren Seite, der so lange anhält, bis die erste Zeile geschrieben ist. Und aus der Pädagogik werden immer wieder Fälle berichtet, wonach ein Kind mit seiner Leere die Erziehenden geradezu zu Maßnahmen herausfordert, diese Leerstelle mit Sinn, Wünschen oder Gehorsam auszufüllen.

Sophie Reyer stellt mit der Figur des Leerstellenkindes ein unverbrauchtes lyrisches Ich vor, das sich mit der Welt auseinandersetzt, indem es verschiedene Füllpasten von Sinn ausprobiert.

Günter Eichberger, Fragmente einer anarchistischen Poetik

h.schoenauer - 26.09.2025

Günter Eichberger, Fragmente einer anarchistischen PoetikWahrscheinlich ist jede Auseinandersetzung mit Literatur, insbesondere beim Rezensieren, ein Anstreifen an die Anarchie. Zumindest sind oft die an der Literatur beteiligten Protagonisten ausgewiesene Anarchen. Während aber die Anarchie, vulgär formuliert, so gut wie jegliche Herrschaft über einen selbst und das Werk ablehnt, ist der Anarch, romantischer formuliert, ein durch und durch unabhängiges Wesen.

Günter Eichberger ordnet seine Lektüren, Begegnungen und Forschungen mit „Anarchen Zeitgenossen“ wie Wolfgang Bauer oder Helmut Eisendle zu einer anarchistischen Poetik, freilich mit dem relativierenden Zusatz, dass es sich dabei um Fragmente handelt.

Raimund Schulz, Welten im Aufbruch

Andreas Markt-Huter - 22.09.2025

Raimund Schulz, Welten im Aufbruch„Archäologische, philologische und historische Forschungen der letzten fünfzig Jahre zeichnen ein Bild der Antike, das sich nicht mehr mit dem liebgewonnenen Inselwissen westlicher Provenienz deckt […], sondern vertraute Ereignisse in viel größere Dimensionen einer eurasischen Geschichte einordnen muss. Das ist das Ziel dieses Buches. Es will die Antike als eine bedeutende historische Epoche beschreiben, die den gesamten eurasischen Kontinent als einen großen Interaktionsraum umfasste, und es will die Impulse herausarbeiten, die seine Geschichten antrieben, verbanden und bedeutsam machten.“ (S. 13)

Raimund Schulz betrachtet die Antike über die gewohnten Schwerpunktregionen Rom und Griechenland hinaus und erweitert den Untersuchungsgegenstand auf die globalen Beziehungen von der „Ostsee bis ins Chinesische Meer, von der nördlichen Taiga bis in die arabischen Wüsten“ (S. 13). Damit verbindet er die archäologischen, philologischen und historischen Forschungen der letzten fünfzig Jahre zu einem spannenden Gesamtbild, der die engen Verflechtungen und Interaktionen zwischen den weit entlegenen Reichen und Regionen der Antike bestechend herausarbeitet.

Reinhard Wegerth, Der große grüne Atemstreik

h.schoenauer - 19.09.2025

Reinhard Wegerth, Der große grüne AtemstreikDamit Wissenschaft glaubhaft erzählt werden kann, bedienen sich ihre Vermittler oft der Romanform. In einem Roman nämlich unterliegen die Thesen des Labors einem Elchtest, indem die Leser ungeniert selbst überlegen dürfen, ob das Erzählte über die Fiktion hinaus glaubhaft ist.

Reinhard Wegerth hat vor Jahrzehnten so etwas wie den grotesken Essay als Genre entwickelt, Dabei werden wissenschaftliche Thesen in eine Geschichte verpackt, die dem populären Sciencefiction nicht unähnlich ist. Das besondere dieser Erzählweise ist die Distanz zum jeweiligen Zeitgeist, auch wenn dieser die Themen vorgibt. ‒ Die Grundfragen der Menschheit, nämlich ihr Sinn und die Notwendigkeit der Reproduktion ist zumindest seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten gleich aktuell.