Christine Hochgerner, Aus der Spur

h.schoenauer - 15.10.2025

Christine Hochgerner, Aus der SpurAuf der Suche nach dem Sinn des Lebens kreuzen sich meist zwei Denkschulen. Nach der einen geht es darum, seiner eigenen Spur aus Bildung, Lebensplanung und Glücksaufbereitung möglichst unbeirrt treu zu bleiben, die andere spricht davon, dass man seine eigene Spur verlassen muss, um quasi vom Zufall unterstützt die wahre Richtung zu finden, die einem guttut.

Christine Hochgerner mischt in ihrem Roman „Aus der Spur“ eine Handvoll Menschen zusammen, die es rund um den Ruhestand noch einmal ordentlich aus der Spur weht. Die Hauptlast des Erzählstrangs trägt dabei die katholisch geprägte Hedwig, bei der sich nach dem Tod ihres Mannes noch einmal die Fenster für ein neues Leben auftun. Ihr Name konnotiert, dass sie als knapp Sechzigjährige eine Kohorte vertritt, die in einem festen Koordinatensystem an Sozialisation herangereift ist. So landen wie von selbst die Schicksalsschläge der anderen Protagonisten bei ihr, gilt sie doch als stabile Seele in einem wackelig gewordenen Wertesystem.

Ihre zwei Fixpunkte für die künftige Lebensplanung sind die Erinnerungen an ihren Mann und das Einrichtungshaus, in dem sie mit Hilfe einer Bekannten sich neu einzurichten gedenkt. Die Welt ist rund um das Wohnzimmer drapiert, in dem sie die wesentlichen Stunden ihres Lebens mit ihrem Mann verbracht hat, oft auch in einer milden Rolle, um Reibereien mit der eigenen Vorstellung aus dem Weg zu gehen.

Die neuen Bekanntschaften ergeben sich aus der Tatsache, dass durch den verstorbenen Mann ein Loch entstanden ist, das beiläufig aufgefüllt wird mit nützlichen Begebenheiten. Eine Beraterin aus dem Einrichtungshaus, ein handwerklich geschicktes Faktotum, eine Reisebekanntschaft in die Toskana bringen jedenfalls neue Spurweiten in die Vermessung der Geschehnisse. Und vor allem ein gewisser Peter treibt Hedwig an den Rand der Verzweiflung, als er nach einem Klinikaufenthalt ganz auf Pflegekindchen macht und zusammen mit seiner Seniorengeliebten bei ihr einzieht.

Hinter den unauffällig gestalteten Aktionen älterer Leute tun sich dann freilich oft existentielle Abgründe auf.

Die Einrichtungsfrau ist schwanger und weiß nichts Genaues vom Lover. Der ist selbstverständlich verheiratet und weiß nicht, wie er mit dieser späten Beziehung umgehen soll, ohne nicht das ganze Lebens- und Liebeswerk in den Boden zu stampfen.

Seine Frau wird von ersten Demenzschüben heimgesucht, was aber keinen Ausweg bietet, sie kriegt den Seitensprung dennoch mit.

Der Kindchen-Mann lernt durch Hedwig noch einmal die Grundwahrheiten einer guten Erziehung, er muss mit Schimpf und Schmach ausziehen, während Hedwig ob ihrer erzieherischen Maßnahmen Genugtuung empfindet.

Ihr Selbstbewusstsein steigert sich, sodass sie zuerst einen Computerkurs besucht, um endlich Hotels der freien Wahl buchen zu können, und sich schließlich eine bezahlte Stunde mit einem Seniorenlover leistet.

Dieser mechanisierte Sex ist ernüchternd, kann sein, dass ihr die katholische Erziehung käuflichen Sex ein für alle Mal vermiest hat, kann aber auch sein, dass der Sex vor allem im Alter maßlos überschätzt ist.

Hedwig ist stolz auf die bestandene Mutprobe, die ledige Mutter bekommt ihr Kind, die an Demenz erkrankte Betrogene kommt in einem Pflegeheim unter. – Die Schicksale werden ein halbes Jahr nach den turbulenten Ereignissen als Abgesang des Romans lapidar kommentiert.

„Aus der Spur“ ist ein Abenteuerroman, der auf den Kreislauf der Protagonisten Rücksicht nimmt. Die Tage sind immer noch gleich lang wie in ihrer Jugend, aber die einzelnen Erlebnisse werden breiter getreten und breiter erlebt. Im Schienenvergleich könnte man von einer Breitspur sprechen.

Aus der Spur ist eine beruhigende, weil ironische Fügung. Im Endeffekt kann nämlich nichts schiefgehen: Wenn es dich aus der einen Spur wirft, musst du eben die nächste, breitere nehmen. – Eine raffinierte Abrechnung mit allen Lebensmodellen, die auf Ängstlichkeit und falscher Sicherheit aufbauen.

Christine Hochgerner, Aus der Spur. Roman
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2024, 161 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-92-6

 

Weiterführender Link:
Sisyphus Verlag: Christine Hochgerner, Aus der Spur

 

Helmuth Schönauer, 04-08-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Christine Hochgerner
Buchtitel:
Aus der Spur
Erscheinungsort:
Klagenfurt
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
Sisyphus Verlag
Seitenzahl:
161
Preis in EUR:
14,80
ISBN:
978-3-903125-92-6
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Christine Hochgerner, geb. 1954 in NÖ, lebt in Wien.