Roman

Markus Köhle, Land der Zäune

h.schoenauer - 18.04.2025

Markus Köhle, Land der ZäuneHans schlägt einen Pfosten ins Erdreich und setzt einen kulturellen Claim in die Landschaft. Er ist jetzt eingemieteter Häuslbauer im Speckgürtel und hat sich erfolgreich einen Flecken Sprache, Gesinnung und Lebenssinn durch Umzäunung gesichert.

Markus Köhle schickt seinen Helden Hans in ein bodenständiges Abenteuer im Siedlungshotspot Unterbrombachkirchen irgendwo bei Wien. Als Bewohner einer eingezäunten Einfamilienburg durchlebt der selbst eingesperrte Zaunkönig einen intimen Zugang zur österreichischen Kultur, Politik und Denkweise. Alles ist geprägt von einem reinrassigen Flair an Mittelmäßigkeit.

Jörn Birkholz, Der Ausbruch

h.schoenauer - 28.03.2025

Jörn Birkholz, Der AusbruchDas Wort „plötzlich“ leitet in der Literatur oft einen Ausbruch ein. Kluge Leser wissen das und blättern im Roman oft von plötzlich zu plötzlich, damit ihnen ja kein Ausbruch als Vulkan, Seuche oder Lebensplanung entgeht.

Jörn Birkholz legt die seelische Fläche, aus der sein Held Max zum Ausbruch getrieben werden soll, ziemlich tief und bedürfnislos. Als Archivar behandelt er zwar aufregende Lebensschicksale eingelagerter Helden, gerät dabei aber selbst in einen scheinbar ereignislosen bürokratischen Schlaf.

Florian Neuner, Die endgültige Totalverramschung

h.schoenauer - 16.03.2025

Florian Neuner, Die endgültige TotalverramschungDer Höhepunkt an literarischer Lieblosigkeit wird oft als Ramsch zusammengefasst. Dieser zeigt sich als monotone Talk-Sendung, wenn im Sitzkreis Sätze über Buchcovers ausgespuckt werden, die man schlampig in die Kamera hält. Er zeigt sich als gigantische Schütten, die in den Eingangsbereichen von Buchhandelsketten ausgelegt sind. Und der Ramsch steckt schließlich auch in jenen versiegelten Thementaschen, die zur Zentralmatura in Deutsch österreichweit aufgerissen werden, um mit vorgefertigten Satzmodulen eine KI-generierte Zusammenfassung der Einheitsmeinung zu provozieren.

Florian Neuner liefert mit dem Genre „Ungekürzte Ausgabe“ das volle Programm an Totalverramschung ab. Seinen Text könnte man als ultimativen Roman lesen, worin alle erdenklichen Floskeln zusammengetragen sind. Es könnte sich aber auch um einen Schelmenroman handeln, in dem die Literatur als Heldin sich selbst auf die Schaufel nimmt. Und für seriös angehauchte Gemüter ist dieses „Erzählprojekt“ eine raffinierte Kritik am Literaturbetrieb, wie Paul Pechmann im Vorwort erläutert.

Rudolf Lasselsberger, Junihitze

h.schoenauer - 07.03.2025

rudolf lasselberger, junihitzeWas geschieht mit all den Nachrichten, die ununterbrochen aus dem Netz, TV und aus Zeitungen fallen? – Sie kondensieren zu Junihitze, die über ein Kippfenster zwischen dumpfer Wohnung und dampfender Terrasse hin und her schwebt. Sie macht den Helden schlaflos und schwindlig.

Der Held in „Junihitze“ von Rudolf Lasselsberger ist so geschafft, dass er die meiste Zeit als Doppelspitze auftreten muss. In einem dialektischen Set ähnlich Wladimir und Estragon in Samuel Becketts Warten auf Godot treten Franz und sein Ich auf, indem sie jeweils sich selbst in einem bestärkenden Monolog Seufzer, Abnormitäten und Störungen zuraunen.

Thomas Sautner, Pavillon 44

h.schoenauer - 21.02.2025

thomas sautner, pavillon 44In der Bezirksstadt Gmünd klettert am Friedhof ein Nackter auf das Dach des Mausoleums und wartet auf seine Abführung. Die freiwillige Feuerwehr breitet zur Vorsicht das Sprungtuch aus, aber der Held lässt sich manuell retten und wird nach Wien in die Psychiatrie gebracht, wo alsbald die Diagnose fällt: „Der Nackte am Friedhof war irr.“ (23)

Thomas Sautner schickt im Roman „Pavillon 44“ seine Helden an die Kante ihrer jeweiligen Welt und lässt sie dann über die Klinge der Erkenntnis springen. Diese drei Welten sind: Roman, Psychiatrie, Politik.

Friedrich Hahn, Die Heimsuchung

h.schoenauer - 07.02.2025

friedrich hahn, die heimsuchungWer im literarischen Kosmos des Friedrich Hahn Heldin oder Held sein will, muss sich die Qualität eines Sandkorns im Stundenglas zulegen. Der mehrdeutige Begriff „Heimsuchung“ stellt sich im höheren Alter oft in den Weg einer glatten Biographie. Einerseits ist darunter eine soziale Einrichtung zu verstehen, worin Pflege und Obsorge als kleines Paradies angeboten werden, andererseits lässt sich eine amorphe Lebenssituation durchaus als pure Bedrohung deuten. „Ist die Suche nach dem Heim abgeschlossen, beginnt die Heimsuchung.“

Im Mittelpunkt des Romans steht der einundsiebzigjährige Siegi, der im Heim an der Uferstraße untergekommen ist. In seiner aktiven Zeit hat er als Tierpfleger in Schönbrunn gearbeitet, aber das frühere Leben spielt ab nun keine Rolle mehr, hier wird jeder an seinem Handicap gemessen, das er zu bewältigen hat. Siegi hat einen „welken“ Fuß und geht am Stock, zur Einführung in die neue Lebenssituation leiht er sich einen Rollator aus und umrundet die neue Wohnstatt.

Hans Augustin, Als ich mit Z zu Abend aß

h.schoenauer - 31.01.2025

hans augustin, als ich mit z zu abend aßEinem britischen Theaterregisseur geht vor der Premiere des „Sommernachtstraums“ in Wladiwostok die Hosennaht am Schritt auf, und er muss zu einem „Not-Schneider“. Dieser gibt ihm während der Reparatur ein Sakko, das den Träger unsichtbar macht. Es ist eigentlich für den Gouverneur bestimmt, aber der Theatermann darf es ausprobieren und sich dadurch allerhand Regieeinfälle am eigenen Leib erfüllen.

Hans Augustin wählt diese märchenhafte Rahmenhandlung, um darin eine Erzählung zu platzieren, in der ein frommer Wunsch europäischer Pazifisten ausformuliert ist: Auf Augenhöhe mit Putin zu kommunizieren und ihm den Ukraine-Krieg auszureden.

Bettina Maria König, Alma oder Wie ich lernte, die Liebe zu verstehen

h.schoenauer - 17.01.2025

bettina maria könig, almaEine ironische Anspielung auf den Kubrick-Film „Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) liegt in der Luft, womit die Liebe etwas gefährlich Abschreckendes wäre wie die Atombombe im Kalten Krieg.

Bettina Maria König entschärft diese Vorstellung mit einer Hinwendung „an alle, die noch an die große Liebe glauben“. Und die Ich-Erzählerin Alma erzählt vor allem romantisch-skurrile Begebenheiten mit Männern, die ein wenig an dem magischen Monster Liebe zu kratzen wagen, es aber dann doch nicht schaffen, mit der Erzählerin eine zufriedenstellende Beziehung auf die Beine zu stellen.

Ein Roman über die Liebe ist dazu da, die Lesenden glücklich zu machen, nicht die Heldin. Und dieses Lese-Glück tritt ein
  a) als Liebesgeschichte,
  b) als ironische Selbstreflexion,
  c) als angewandte Weltliteratur vom Schlage einer Jane Austen (1775-1817).

Selina Holešinsky, Schaltiere am Waldboden

h.schoenauer - 13.01.2025

selina holesinsky, schaltiere am waldbodenEin Dorf ist in der Fiktion ein gern gesehener Ort, um darin Idylle, Schrecken, Wokeness oder Klimaschutz in Szene zu setzen. Mit Wimmelbildern der Kindheit wird dieser Ort gerne als analoge Wunderwelt dargestellt, worin sich die erwachsen gewordenen Kinder später einmal zurückziehen werden. Die Wirklichkeit ist freilich auch in Romanen alles andere als eine heile Welt.

Selina Holešinsky zeigt im Roman „Schaltiere am Waldboden“ die heranwachsende Antonie, im elterlichen Kosenamen Marillchen genannt, wie sie zwischen Mutti und Vati im Aussteigerdorf „Autofrei“ groß werden muss. Das Gesellschaftsleben oszilliert zwischen intellektueller Idylle, Sektenideologie und haptisch erfahrbarem Bilderbuchgefühl. Die Ich-Erzählerin nimmt die Welt wörtlich und einmalig, wie es alle Heranwachsenden tun müssen, die zu sich selbst keine alternativen Erfahrungen sammeln können.

Minu Ghedina, Am Rande das Licht

h.schoenauer - 09.01.2025

minu ghedina, am rande das lichtKunst kann zur Erbkrankheit werden, wenn man als Kind im Licht großer Künstlereltern aufwachsen muss. Minu Ghedina spielt im Künstlerroman „Am Rande das Licht“ mit dem Wechselspiel von eigener Entwicklung und allgemeinem Anspruch in der Gesellschaft. Wie lässt sich der Rand eines Bildes ausleuchten, ohne dass das Auge vom Bannstrahl der mediokren Mitte verbrannt wird?

Künstlerromane firmieren oft als Comingout-Romane, wenn es den Individuen gelingt, im Kunstbetrieb heimisch zu werden. Andererseits gleichen diese Biographien durchaus fehlgeleiteten Brüt-Vorgängen, die keine Künstlerkarriere ausschlüpfen lassen. Sarkastisch formuliert: Die Pubertät des Künstlers dauert bis ins fünfundzwanzigste Lebensjahr, ehe das Geschöpf normiert ist und einen seriösen Beruf ergreift.