Roman

Ludwig Roman Fleischer, Pandeminium oder In letzter Zeit

h.schoenauer - 17.12.2025

Ludwig Roman Fleischer, Pandeminium oder In letzter ZeitDie wahren Helden der Zeitgeschichte sind oft Medien, die sich mit einem kleinen Taschenmesser einen Weg durch den Dschungel der Meinungen schlagen. Dabei liegt die wahre Regierung über den kleinteiligen Zeitgeist meist als Impressum einer unscheinbaren Kleinzeitung auf.

Ludwig Roman Fleischer geht gegen das Zeitgeschehen literarisch mit zwei verschränkten Romanen vor. Der Buchtitel „Pandeminium“ ist eine wundersame Verquickung von Pandemie und Minimum, die Fragestellung lautet in etwa: Was passiert, wenn Weltthemen in einer mit Geist dünn besiedelten Provinz diskutiert werden?

Jörn Birkholz, Der Ausbruch

h.schoenauer - 15.12.2025

Jörn Birkholz, Der AusbruchDas Wort „plötzlich“ leitet in der Literatur oft einen Ausbruch ein. Kluge Leser wissen das und blättern im Roman oft von plötzlich zu plötzlich, damit ihnen ja kein Ausbruch als Vulkan, Seuche oder Lebensplanung entgeht.

Jörn Birkholz legt die seelische Fläche, aus der sein Held Max zum Ausbruch getrieben werden soll, ziemlich tief und bedürfnislos. Als Archivar behandelt er zwar aufregende Lebensschicksale eingelagerter Helden, gerät dabei aber selbst in einen scheinbar ereignislosen bürokratischen Schlaf.

Margit Weiß, Was man nicht sieht, ist doch da

h.schoenauer - 01.12.2025

Margit Weiß, Was man nicht sieht, ist doch daWenn eine zarte Pflanze verletzt wird, wächst sie geduckt und verwundet auf. – Diese Baumschulweisheit gilt erst recht für Kinder, die in Aufzucht-Institutionen rabiater Systeme unter die Räder gekommen sind. Margit Weiß erzählt vom zehnjährigen Hans Dakosta, der 1954 vom Unterricht abgeholt wird und ohne Wissen seiner Eltern in eine Erziehungsanstalt gesteckt wird. „Was man nicht sieht, ist doch da!“ – Diese Erfahrung, die der junge Held im Erziehungssystem der Tiroler Nachkriegszeit machen muss, wird zu einem leidvollen Leitsatz, mit dem der Held sich über Wasser zu halten versucht. Dabei ist auch diese Fügung schon wieder heimtückisch, denn im großen Schlafsaal der Anstalt spielt Bettnässen eine gewichtige Rolle.

Der Roman wird in elementaren Erziehungs-Sketches erzählt, die wie saure Halloween-Bonmots zu einer desaströsen Karriere aufgefädelt sind. Die einzelnen Kapitel sind jeweils um die Protagonisten angesiedelt, sodass sich die Möglichkeit ergibt, in das Innere der Bösewichte zu blicken, während sie ihren Frust am Helden abarbeiten.

Werner Schandor, Flüchtiges Spiel

h.schoenauer - 26.11.2025

Werner Schandor, Flüchtiges SpielMarkante Buchtitel haben oft das Zeug dazu, unerwartet eine ganze Epoche zu beschreiben. Der Gesellschafts-Thriller „Flüchtiges Spiel“ fasst diese Verdunstung von Beziehungen, den oberflächlichen Umgang mit der Wahrheit und die Selbstauflösung von Regeln während des Spiels zu einer Stimmung zusammen, die über der Business-Welt Österreichs zu liegen scheint.

Werner Schandor verwendet für seine Analyse von Werbetricks, politischen Machenschaften, Casino-Mentalität und unverbindlichen Beziehungen einen Plot, der die Leser quasi von der ersten Seite an aus dem erwartbaren Muster einer prosperierenden Konsumwelt reißt.

Robert Prosser, Das geplünderte Nest

h.schoenauer - 24.10.2025

Robert Prosser, Das geplünderte NestWie kann man über etwas nachdenken, wenn einem der öffentliche Rummel keinen Platz dafür lässt? Wie kann die Kunst im Untergrund an der Oberfläche des Tagesgeschehens andocken, wenn keine Flächen dafür vorgesehen sind?

Robert Prosser erzählt im Roman „Das geplünderte Nest“ vom Untergrund des kollektiven Bewusstseins, das im Museum des Vergessens eingelagert ist. Für das Auffinden der Untergrundgeschichte wählt er einen journalistischen Plot: Ein Ich-Erzähler aus einem Tiroler Alpendorf erforscht, während zu Hause Saison-Rummel ist, die „Graff-Kultur“ im Beirut der Ruinen und Provisorien. Als er für die ruhige Zwischensaison nach Hause kommt, erwartet ihn eine unheimliche Stille. Nach dem Lärm im Kriegsgebiet wirkt das Dorf umso schweige-schriller, als es eben noch die Hölle des touristischen Entertainments inszeniert hat.

Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten Eden

h.schoenauer - 22.10.2025

Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten EdenIm Idealfall treten die Genres Rezension und Kunstwerk gemeinsam auf. Etwas erscheint, und zeitlich nahe gibt es eine Reaktion darauf, was unter dem Überbegriff Rezension publiziert wird. Dieses Wechselspiel aus der analogen Zeit des Buchdrucks hat es im großen und ganzen auch ins digitale Zeitalter hineingeschafft, wo das Genre Rezension auf diversen Blogs, Foren und Plattformen beinahe unüberschaubar verstreut ist.

Im wesentlichen sind drei Kerne im Fruchtfleisch des Rezensionswesens verborgen.

a) Annotation
b) Essay
c) Selfie

Christine Hochgerner, Aus der Spur

h.schoenauer - 15.10.2025

Christine Hochgerner, Aus der SpurAuf der Suche nach dem Sinn des Lebens kreuzen sich meist zwei Denkschulen. Nach der einen geht es darum, seiner eigenen Spur aus Bildung, Lebensplanung und Glücksaufbereitung möglichst unbeirrt treu zu bleiben, die andere spricht davon, dass man seine eigene Spur verlassen muss, um quasi vom Zufall unterstützt die wahre Richtung zu finden, die einem guttut.

Christine Hochgerner mischt in ihrem Roman „Aus der Spur“ eine Handvoll Menschen zusammen, die es rund um den Ruhestand noch einmal ordentlich aus der Spur weht. Die Hauptlast des Erzählstrangs trägt dabei die katholisch geprägte Hedwig, bei der sich nach dem Tod ihres Mannes noch einmal die Fenster für ein neues Leben auftun. Ihr Name konnotiert, dass sie als knapp Sechzigjährige eine Kohorte vertritt, die in einem festen Koordinatensystem an Sozialisation herangereift ist. So landen wie von selbst die Schicksalsschläge der anderen Protagonisten bei ihr, gilt sie doch als stabile Seele in einem wackelig gewordenen Wertesystem.

Reinhard Wegerth, Der große grüne Atemstreik

h.schoenauer - 19.09.2025

Reinhard Wegerth, Der große grüne AtemstreikDamit Wissenschaft glaubhaft erzählt werden kann, bedienen sich ihre Vermittler oft der Romanform. In einem Roman nämlich unterliegen die Thesen des Labors einem Elchtest, indem die Leser ungeniert selbst überlegen dürfen, ob das Erzählte über die Fiktion hinaus glaubhaft ist.

Reinhard Wegerth hat vor Jahrzehnten so etwas wie den grotesken Essay als Genre entwickelt, Dabei werden wissenschaftliche Thesen in eine Geschichte verpackt, die dem populären Sciencefiction nicht unähnlich ist. Das besondere dieser Erzählweise ist die Distanz zum jeweiligen Zeitgeist, auch wenn dieser die Themen vorgibt. ‒ Die Grundfragen der Menschheit, nämlich ihr Sinn und die Notwendigkeit der Reproduktion ist zumindest seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten gleich aktuell.

Bettina Maria König, Alma oder Wie ich lernte, die Liebe zu verstehen

h.schoenauer - 30.07.2025

bettina maria könig, almaEine ironische Anspielung auf den Kubrick-Film „Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) liegt in der Luft, womit die Liebe etwas gefährlich Abschreckendes wäre wie die Atombombe im Kalten Krieg.

Bettina Maria König entschärft diese Vorstellung mit einer Hinwendung „an alle, die noch an die große Liebe glauben“. Und die Ich-Erzählerin Alma erzählt vor allem romantisch-skurrile Begebenheiten mit Männern, die ein wenig an dem magischen Monster Liebe zu kratzen wagen, es aber dann doch nicht schaffen, mit der Erzählerin eine zufriedenstellende Beziehung auf die Beine zu stellen.

Ein Roman über die Liebe ist dazu da, die Lesenden glücklich zu machen, nicht die Heldin. Und dieses Lese-Glück tritt ein
  a) als Liebesgeschichte,
  b) als ironische Selbstreflexion,
  c) als angewandte Weltliteratur vom Schlage einer Jane Austen (1775-1817).

Waltraud Mittich, Hierorts.Bleiben

h.schoenauer - 16.07.2025

Waltraud Mittich, Hierorts.BleibenSelbst der rastlose Überflug durch Zeit und Raum hat im Augenblick seiner Gegenwart fixe Koordinaten, die eine „Heimat“ beschreiben. Geprägt ist dieser Augenblick durch dieses magisch zusammengeschmolzene Schlüsselwort „Hierorts.Bleiben.“

Waltraud Mittich benützt „Hierorts.Bleiben“ als Daumenabdruck auf einer Landkarte der Erinnerung. Als Erzählerin fungiert ein im Jetzt schreibendes Kind, das vielleicht in den 1950er Jahren in einer Wiese bei Toblach liegt und die Familiengeschichte als bunte Schmetterlinge über den Handrücken flattern lässt.