Hans Augustin, Als ich mit Z zu Abend aß

h.schoenauer - 31.01.2025

hans augustin, als ich mit z zu abend aßEinem britischen Theaterregisseur geht vor der Premiere des „Sommernachtstraums“ in Wladiwostok die Hosennaht am Schritt auf, und er muss zu einem „Not-Schneider“. Dieser gibt ihm während der Reparatur ein Sakko, das den Träger unsichtbar macht. Es ist eigentlich für den Gouverneur bestimmt, aber der Theatermann darf es ausprobieren und sich dadurch allerhand Regieeinfälle am eigenen Leib erfüllen.

Hans Augustin wählt diese märchenhafte Rahmenhandlung, um darin eine Erzählung zu platzieren, in der ein frommer Wunsch europäischer Pazifisten ausformuliert ist: Auf Augenhöhe mit Putin zu kommunizieren und ihm den Ukraine-Krieg auszureden.

Politisch wabernde Prozesse lassen sich mit Romanen nur bedingt darstellen, weil die Gleichzeitigkeit zwischen Text und Lektüre keine Fallhöhe für Thesen zulässt und Kommentare meist in Kitsch und Moral enden. Der Essay wiederum hat den Nachteil, dass er zumindest partiell eine Logik anwendet, die den handelnden und lesenden Personen geläufig ist. – Für historisch relevante Ereignisse bleibt in Echtzeit nur das Theaterstück, wie wir seit Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“ wissen.

Klugerweise nimmt Hans Augustin einen Theaterregisseur als Widerpart zu jenem Z, der starke Ähnlichkeit mit dem im Journalismus überlieferten Putin hat.

Der Ich-Erzähler Noah Greenfeld aus der Shakespeare-Stadt Stratford inszeniert jenseits des Ukraine-Krieges in Wladiwostok den Sommernachtstraum. Dieser gilt als durchkomponiertes „laues Lüftchen“, das den Dingen für ein paar Augenblicke die Schwerkraft nimmt.

Ähnliches fabriziert das geheimnisvolle Sakko, das als Theaterrequisite den Rollenträger unsichtbar macht. Der Erzähler stülpt sich also das Sakko über, organisiert einen schnellen Transfer nach Moskau, wo er zuerst an einem Empfang teilnimmt und später bei Z privat in seiner Bonzenvilla zu Abend isst.

Aus der Perspektive der Unsichtbarkeit heraus entstehen die beiden Theaterbilder „öffentlicher Empfang“ und „intime Einsamkeit der Macht“. Nicht nur der Erzähler ist unsichtbar, auch die vorüberziehenden Sätze sind alle ungeziemend, verboten oder eine gefährliche Anspielung. So darf beispielsweise Gogols Revisor selbst im Smalltalk nicht erwähnt werden, weil sein Geburtsort in der heutigen Ukraine liegt.

Der Erzähler übernimmt bei seinem Rundgang durchs Banquette die Rolle von uns fragenden Lesern, wenn wir den im Fernsehen angesehenen Stoff mit Tricks für uns verdauen müssen, weil wir sonst die Groteske nicht aushalten würden. Dieses Staunen über einen Stoff, der nicht besprochen oder behandelt werden darf, wird den Figuren übergestülpt, die mit dem Fakt nicht fertig werden, dass es das Unsichtbare tatsächlich gibt.

Ein Handy, das für sich allein durch den Raum geht, ist mindestens so skurril wie eine Phantasieuniform, die an der Brust Schlachten darstellt, die es gar nicht gegeben hat. Die Figuren beschleicht ein schlechtes Gewissen, vielleicht zu wenig nachgedacht zu haben über das, worüber man nicht nachdenken soll. Der unsichtbare Erzähler benimmt sich zudem wie ein ausgebildeter Hofnarr, indem er bei jedem Machtkomparsen auf Anhieb den wunden Punkt berührt. Für uns Leser hingegen erweist sich der Unsichtbare als idealer Regisseur, der das Stück in Gang hält, ohne dass es die Figuren merken.

Im Auftritt in der Präsidentenvilla gerät das Gespräch mit dem Z in beinahe freundschaftliche Bahnen, als Z merkt, dass es aus ist, wenn er selbst unsichtbar sein müsste.

„Ich bin kein Politiker oder Terrorist, Profikiller oder Geheimdienstmann, ich bin von Beruf Theaterregisseur, mich interessieren Begegnungen und Situationen, die man sich nicht ausdenken kann.“ (67/68)

Der Erzähler bereitet seinen Abgang vor, indem er dem Präsidenten einen unsichtbaren Gang ins Freie schmackhaft macht, damit er die wahre Stimmung im Lande erkunden könnte.

Und tatsächlich entlässt Z noch schnell die wichtigsten Personen, die es nicht glauben können, dass sie von einer Sekunde auf die andere entfernt worden sind. Dann stülpt er sich das Sakko um, fährt unerkannt mit dem Boot auf der Moskwa, fällt hinein und ertrinkt als unsichtbarer Putin. Niemand hätte ihn retten mögen, selbst wenn man ihn gesehen hätte.

Die Rahmenhandlung findet wieder zur Schwerkraft der Ereignisse zurück. Die Premiere in Wladiwostok ist furios, der Regisseur genießt die geflickte Hose, der Gouverneur hält sich auch ohne Sakko für unsichtbar.

Hans Augustin erzählt in märchenhafter Leichtigkeit einen wundersamen Sommernachtstraum, wie er vielleicht entstehen müsste, wenn die schweren Vokabeln des Krieges allmählich ausgesprochen werden. Der Krieg lässt sich nicht beschreiben, aber es lässt sich von einem Frieden träumen, in dem die Wörter wenigstens für sich alleine wahr werden.

Hans Augustin, Als ich mit Z zu Abend aß. Roman
Innsbruck: Edition Laurin 2024, 112 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903539-42-6

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Hans Augustin, Als ich mit Z zu Abend aß
Wikipedia: Hans Augustin

 

Helmuth Schönauer, 05-10-2024

Bibliographie
AutorIn:
Hans Augustin
Buchtitel:
Als ich mit Z zu Abend aß
Erscheinungsort:
Innsbruck
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
Edition Laurin
Seitenzahl:
112
Preis in EUR:
20,00
ISBN:
978-3-903539-42-6
Kurzbiographie AutorIn:
Hans Augustin, geb. 1949 in Salzburg, lebt in Thaur.