Beziehung

Werner Schandor, Flüchtiges Spiel

h.schoenauer - 26.11.2025

Werner Schandor, Flüchtiges SpielMarkante Buchtitel haben oft das Zeug dazu, unerwartet eine ganze Epoche zu beschreiben. Der Gesellschafts-Thriller „Flüchtiges Spiel“ fasst diese Verdunstung von Beziehungen, den oberflächlichen Umgang mit der Wahrheit und die Selbstauflösung von Regeln während des Spiels zu einer Stimmung zusammen, die über der Business-Welt Österreichs zu liegen scheint.

Werner Schandor verwendet für seine Analyse von Werbetricks, politischen Machenschaften, Casino-Mentalität und unverbindlichen Beziehungen einen Plot, der die Leser quasi von der ersten Seite an aus dem erwartbaren Muster einer prosperierenden Konsumwelt reißt.

Irene Schrattenecker, Das Leben der Wörter

h.schoenauer - 17.11.2025

Irene Schrattenecker, Das Leben der WörterVielleicht sollten wir neben den Tieren und Pflanzen auch die Wörter als Lebewesen würdigen, die uns zwar täglich hilfreich zur Seite stehen, die wir aber regelmäßig zum Aussterben verdammen. Irene Schrattenecker geht mit ihren knapp dreißig Miniatur-Erzählungen Gedanken nach, die im Laufe eines Tages so daherkommen, die man aber meist unbeachtet weiterziehen lässt. Die einzelnen Texte könnte man als impressionistische Petitessen bezeichnen, wie sie seit Robert Walser als Inbegriff für das Flanieren durch den eigenen Kopf gelten.

Die Konsistenz dieses Wörter-Denkens wird in den ersten drei Impressionen vorgestellt, wenn es um „Das Leben der Wörter“, „Wörterbuchreise“ und „Lesen“ geht. Aus diesen schlichten Überschriften leiten sich jeweils träumerische Gedankenschleifen ab, die zu einem Spaziergang durch das Sprachgelände einladen, worin vielleicht alte Geschichten aus der Stadt aufgestellt sind wie Rastbänke am Wegesrand.

Andreas Pargger, Wie wir leben wollen

h.schoenauer - 14.11.2025

Andreas Pargger, Wie wir leben wollenDer sogenannte Lebensstil lässt sich oft kunstvoll zu einem Stillleben zusammenfassen, das sich als Bild oder Gedicht präsentiert. Andreas Pargger unternimmt im Lyrikband „Wie wir leben wollen“ gut fünfzig Anläufe, um sogenannte Lebensentwürfe auszuprobieren. Dabei poppen die Gedichte als Momentaufnahmen auf, in denen sich ein dramatischer Prozess ablesen lässt wie bei einem Poster, das einen besonderen Gestus einer Rolle in den Vordergrund stellt.

An einen Dreiakter erinnert auch die schlichte Gliederung in Abschnitt I (7), II (31) und III (87). Für die optische Wahrnehmung sind die Gedichte zugleich weit und konzentriert aufbereitet. Generell stehen die Gedichte auf der ungeraden „Aufmerksamkeit heischenden“ Seite rechts, währen die linke Seite fast durchgehend leer bleibt. Es herrscht also Rechtsverkehr, während links die Signale stehen in Gestalt einer binären Seitennummerierung, die leere Seite wird genauso gezählt wie die volle.

Robert Prosser, Das geplünderte Nest

h.schoenauer - 24.10.2025

Robert Prosser, Das geplünderte NestWie kann man über etwas nachdenken, wenn einem der öffentliche Rummel keinen Platz dafür lässt? Wie kann die Kunst im Untergrund an der Oberfläche des Tagesgeschehens andocken, wenn keine Flächen dafür vorgesehen sind?

Robert Prosser erzählt im Roman „Das geplünderte Nest“ vom Untergrund des kollektiven Bewusstseins, das im Museum des Vergessens eingelagert ist. Für das Auffinden der Untergrundgeschichte wählt er einen journalistischen Plot: Ein Ich-Erzähler aus einem Tiroler Alpendorf erforscht, während zu Hause Saison-Rummel ist, die „Graff-Kultur“ im Beirut der Ruinen und Provisorien. Als er für die ruhige Zwischensaison nach Hause kommt, erwartet ihn eine unheimliche Stille. Nach dem Lärm im Kriegsgebiet wirkt das Dorf umso schweige-schriller, als es eben noch die Hölle des touristischen Entertainments inszeniert hat.

Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten Eden

h.schoenauer - 22.10.2025

Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten EdenIm Idealfall treten die Genres Rezension und Kunstwerk gemeinsam auf. Etwas erscheint, und zeitlich nahe gibt es eine Reaktion darauf, was unter dem Überbegriff Rezension publiziert wird. Dieses Wechselspiel aus der analogen Zeit des Buchdrucks hat es im großen und ganzen auch ins digitale Zeitalter hineingeschafft, wo das Genre Rezension auf diversen Blogs, Foren und Plattformen beinahe unüberschaubar verstreut ist.

Im wesentlichen sind drei Kerne im Fruchtfleisch des Rezensionswesens verborgen.

a) Annotation
b) Essay
c) Selfie

Christine Hochgerner, Aus der Spur

h.schoenauer - 15.10.2025

Christine Hochgerner, Aus der SpurAuf der Suche nach dem Sinn des Lebens kreuzen sich meist zwei Denkschulen. Nach der einen geht es darum, seiner eigenen Spur aus Bildung, Lebensplanung und Glücksaufbereitung möglichst unbeirrt treu zu bleiben, die andere spricht davon, dass man seine eigene Spur verlassen muss, um quasi vom Zufall unterstützt die wahre Richtung zu finden, die einem guttut.

Christine Hochgerner mischt in ihrem Roman „Aus der Spur“ eine Handvoll Menschen zusammen, die es rund um den Ruhestand noch einmal ordentlich aus der Spur weht. Die Hauptlast des Erzählstrangs trägt dabei die katholisch geprägte Hedwig, bei der sich nach dem Tod ihres Mannes noch einmal die Fenster für ein neues Leben auftun. Ihr Name konnotiert, dass sie als knapp Sechzigjährige eine Kohorte vertritt, die in einem festen Koordinatensystem an Sozialisation herangereift ist. So landen wie von selbst die Schicksalsschläge der anderen Protagonisten bei ihr, gilt sie doch als stabile Seele in einem wackelig gewordenen Wertesystem.

Lucas Cejpek, Du siehst Gespenster und nichts in der Minibar

h.schoenauer - 13.10.2025

Lucas Cejpek, Du siehst Gespenster und nichts in der MinibarJeder aufregende Essay ist letztlich eingezwängt zwischen den Extrempositionen der Schwarzmalerei und der Abgeschnittenheit vom erhellenden Stoff.

Lucas Cejpek verpackt diese Beklemmung in einen wunderbaren Titel. Einerseits wird die Schwarzmalerei relativiert mit der landläufigen Fügung „Du siehst Gespenster“, andererseits wird die desaströse Stimmung angesprochen, wenn im Hotelzimmer zwar der Kühlschrank brummt, aber nichts in der Minibar ist. Wie soll das Individuum etwas Vernünftiges denken, wenn es vom Stoff abgeschnitten ist?

Ilse Kilic, Alter Ego. Mutprobe mit Zugaben

h.schoenauer - 10.10.2025

Ilse Kilic, Alter Ego. Mutprobe mit ZugabenUm sensible Daten aus dem Inneren einer Figur herauszukriegen, bieten sich zwei bewährte Methoden an: der Innere Monolog und das Alter Ego.

Ilse Kilic verwendet den Kunstgriff mit dem Alter Ego ironisch und setzt den Begriff wie in einem Lehrbuch gleich in den Titel. Das Lehrbuch ist das Lieblingsgenre der Autorin, da lässt sich der Sachverhalt schön in logischen Portionen darstellen und mit spritzigen Zeichnungen unterlegen. Das Thema ist dieses Mal das Altwerden.

Reinhard Wegerth, Der große grüne Atemstreik

h.schoenauer - 19.09.2025

Reinhard Wegerth, Der große grüne AtemstreikDamit Wissenschaft glaubhaft erzählt werden kann, bedienen sich ihre Vermittler oft der Romanform. In einem Roman nämlich unterliegen die Thesen des Labors einem Elchtest, indem die Leser ungeniert selbst überlegen dürfen, ob das Erzählte über die Fiktion hinaus glaubhaft ist.

Reinhard Wegerth hat vor Jahrzehnten so etwas wie den grotesken Essay als Genre entwickelt, Dabei werden wissenschaftliche Thesen in eine Geschichte verpackt, die dem populären Sciencefiction nicht unähnlich ist. Das besondere dieser Erzählweise ist die Distanz zum jeweiligen Zeitgeist, auch wenn dieser die Themen vorgibt. ‒ Die Grundfragen der Menschheit, nämlich ihr Sinn und die Notwendigkeit der Reproduktion ist zumindest seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten gleich aktuell.

Christoph Szalay, HURT

h.schoenauer - 17.09.2025

Christoph Szalay, HURTIn goldenen Lettern prangt ein magischer Begriff vom Buchdeckel: HURT. In einer ersten Übersetzung stellt man sich etwas mit Verletzung und Schmerz vor. Und später wird klar, dass es sich um einen Zustand der Trance und der Körperverletzung handelt, wie er beispielsweise während eines Berglaufs auftreten kann.

Christoph Szalay stellt mit Hurt eine Geschichte des Heran-Tastens an ultimative Grenzen vor. Dabei beginnt das Protokoll recht verheißungsvoll: „der erste Blick des Tages in den Himmel, um zu sehen, ob er trägt“. (10)