Markus Köhle, Land der Zäune

h.schoenauer - 16.06.2025

Markus Köhle, Land der ZäuneHans schlägt einen Pfosten ins Erdreich und setzt einen kulturellen Claim in die Landschaft. Er ist jetzt eingemieteter Häuslbauer im Speckgürtel und hat sich erfolgreich einen Flecken Sprache, Gesinnung und Lebenssinn durch Umzäunung gesichert.

Markus Köhle schickt seinen Helden Hans in ein bodenständiges Abenteuer im Siedlungshotspot Unterbrombachkirchen irgendwo bei Wien. Als Bewohner einer eingezäunten Einfamilienburg durchlebt der selbst eingesperrte Zaunkönig einen intimen Zugang zur österreichischen Kultur, Politik und Denkweise. Alles ist geprägt von einem reinrassigen Flair an Mittelmäßigkeit.

Das „Land der Zäune“ entwickelt sich vor den Lesenden in drei imperialen Schleifen.

Im ersten Akt „Die Zaunwerdung“ (9) benimmt sich Hans als Pionier, der sich im Nichts einrichtet und quasi die Insel, die Robinson frei im Meer liegend vorgefunden hat, für sich bewohnbar macht, indem er alles ab- und einzäunt.

Zu diesem Beschaffungsvorgang für Heimat gehört die Kunst des Sich-Abgrenzens, die Entwicklung einer eigenen Sprache und die Installation einer Einweg-Blase, in die man einmal hineinschlüpft, aber nicht mehr herauskommt.

Vor dem Zaun winkt das Schild „Europaweg“ wie die Verhöhnung des Projekts. Hans hat sich die Dienste einer „Entsorgerin“ zu eigen gemacht, diese Person ist Psychologin, Ratgeberin, KI und Netz-Administratorin und berät in allen Siedlungsfragen, was jedoch meist auf einen neuen Schritt der Abgrenzung hinausläuft.

In Griffweite ist stets Mutter Sagmeister um die Wege, die dem Leben des erwachsenen Buben den Anstrich von Normalität verleiht. Hinter der Abgrenzung entwickelt der Einsiedler teils verstörende, teils perverse Rituale. So verschwindet die Nachbarkatze auf seltsame Weise und wird mumifiziert der Besitzerin als Präsent gemacht.

Im zweiten Akt „Die Verpuppung“ (83) zieht sich Hans in sich selbst zurück, um ein politisches Monster zu werden. Hinterm Zaun zeigt er umgängliche Züge und versucht mit den neuen Nachbarn Freundschaft zu schließen, was freilich eine radikale Veränderung seiner Einstellung voraussetzt. Mini und Cooper, die beiden Katzen, bewirken im Helden eine Metamorphose nach dem Motto: Wenn man es mit Katzen kann, kann man es auch mit den Leuten.

Zu dieser freundlichen Seite gehört auch die Aufarbeitung der Vergangenheit, die vor allem in Frauen besteht. Drei sogenannte „Exen“ werden psychologisch analysiert und aufgearbeitet. Beziehungen sind in der Hauptsache dazu da, dass man später hinter dem Zaun heraus über sie reden kann.

Im dritten Akt „Die Entfaltung“ (189) entwickelt sich Hans zu einem vollblütigen Zaunkanzler. Unterstützt von der Blasensprache, abgesichert von Zäunen und Abgrenzungen jeglicher Art entsteht schließlich eine Zaunpartei, die Züge einer neuen Weltordnung beinhaltet. Nicht umsonst in von einem Zauniversum die Rede und seine Realität ist in einem eigenen Zauni-pedia abgebildet.

Unter dem Kürzelnamen Hanszö überschreitet der Zaunkanzler alle Grenzen, seine Mutter macht daraus eine umgarnende Story vom kleinen Zaunprinz. In einer Miktion aus Parteiprogramm, esoterischer Weissagung und märchenhafter Apokalypse endet der Roman als monumentale Historienmalerei über die aktuelle österreichische Geschichte.

Im Anhang taucht dieses Pandämonium der eingezäunten Mittelmäßigkeit als ABC des kleinen Zaunprinzen auf. (213) Darin ist von Alltag über Ordnung, Wut und Yoga alles in Merksätzen ausgesprochen. Der Zaun kommt sogar in zwei Schattierungen zum Vorschein wie die Wahrheit, von der es ebenfalls zwei Möglichkeiten gibt.

„Zaun. Der Zaun ist das Goldketterl des Halses Haus.“
„Zaun. Der Penisring ist der Zaun des kleinen Mannes.“

Markus Köhle lässt der Sprache freien Lauf. Mal schält sie sich aus Zeitungen heraus und mutiert zu einer skurrilen Geschichte, dann tritt sie als Essay auf und versucht, die Metaebene auszutricksen, der Hörfehler ist Dauergast der Kommunikation wie die Selbstbespiegelung während der Selbstreflexion. Der wichtigste Kumpel ist der Mähroboter, der als Rohmähn ein gefügiger Lebenspartner für Hans wird.

Philosophisch gesehen könnte man den Helden als modernen Sisyphus ansprechen, der eingezäunt in sich selbst durch das Netz flegelt und dabei Politik macht.
Für österreichische Verhältnisse handelt es sich um einen ausgesprochenen Thriller, der die Nerven empfindsamer Seelen immer an der falschen Stelle erregt. Letztlich können Kurzschlüsse, Erosionen des Lebenssinns und Desaster des Alltags durch keinen noch so fixen Zaun „in Zaun gehalten“ werden.

Markus Köhle,  Land der Zäune. Roman
Wien: Sonderzahl Verlag 2025, 240 Seiten, 25,00 €, ISBN 978-3-85449-673-1

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Markus Köhle, Land der Zäune
Wikipedia: Markus Köhle

 

Helmuth Schönauer, 28-02-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Markus Köhle
Buchtitel:
Land der Zäune
Erscheinungsort:
Wien
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Sonderzahl Verlag
Seitenzahl:
240
Preis in EUR:
25,00
ISBN:
978-3-85449-673-1
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Markus Köhle, geb. 1975 in Nassereith, lebt in Wien.