Tiroler Gegenwartsliteratur

Janus Zeitstein, Morphopoetische Rhapsodie

h.schoenauer - 24.02.2025

janus zeitstein, morphopoetische rhapsodieAuch für Bücher gilt: das Unerwartete macht oft die größte Freude. Janus Zeitstein stiftet mit seiner „Morphopoetische Rhapsodie“ einen Moment lang Verwirrung, um dann die Leser mit beinahe magnetischem Glücksversprechen ins Buchinnere zu ziehen.

Dabei dient der Titel als Programm: a) Rhapsodie als Genre für Bruchstückhaftes oder aus losen Teilen Zusammengeflicktes, b) morphopoetisch als freie Erscheinungsform der Poesie. Zusammengesetzt ergibt sich ein positiv geladener Begriff, der ähnlich einem Medikament schon durch das laute Ablesen seines Markennamens einen Heilungsprozess in Gang setzt.

Sylvia Dürr, Der Buchesser

h.schoenauer - 10.02.2025

syliva dürr, der buchesserBiographien verlaufen selten geradlinig, an ihren krummen Windungen lagern sich meist unverwechselbare Begebenheiten ab. Die daraus wachsenden Shortstorys dienen in der Literatur als unverwechselbare Marker eines Lebens, ähnlich wie es für die Forensik die Fingerabdrücke sind.

Sylvia Dürr überschreibt die Titelgeschichte der dreißig Shortstorys mit „Der Buchesser“ (9). Darin nimmt ein Bibliothekar das Lesen so innig und wichtig, dass er das Gelesene gleich zu verdauen anfängt. Er frisst die Bücher nicht nur im übertragenen Sinn, sondern absorbiert sie und macht die Bücherzellen zu Körperzellen. Vor allem während der Pubertät kommt es erstmals zu bibliothekarischen Fressattacken.

Thomas Schafferer, SELBST. Porträt eines Künstlerlebens

h.schoenauer - 20.01.2025

thomas schafferer, selbstDas Jahr ist ein Teig, aus dem der Künstler unermüdlich seine Kekse heraussticht. Allmählich bildet sich daraus ein Selbst, eingespannt zwischen den Kunst-Schaffenden und den Kunst-Konsumierenden.

Thomas Schafferer arbeitet ein Jahr lang an seinem Selbst, indem er ein strenges Ritual entwickelt, wie der Zeitfluss in einzelne Tageskader aufgelöst werden kann. Im Archivwesen nennt man diese normierten Eingriffe in einen dynamischen Prozess „Formatismus“. Das Format bestimmt dabei den Inhalt, das Containment den Content.

Die Spielregel für SELBST ist als Installationsbeschreibung für eine Kunstaktion zu verstehen, worin Events, Ausstellungen, Lesungen, Buch und Archivierung zu einem Format vereinigt sind.

Bettina Maria König, Alma oder Wie ich lernte, die Liebe zu verstehen

h.schoenauer - 17.01.2025

bettina maria könig, almaEine ironische Anspielung auf den Kubrick-Film „Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) liegt in der Luft, womit die Liebe etwas gefährlich Abschreckendes wäre wie die Atombombe im Kalten Krieg.

Bettina Maria König entschärft diese Vorstellung mit einer Hinwendung „an alle, die noch an die große Liebe glauben“. Und die Ich-Erzählerin Alma erzählt vor allem romantisch-skurrile Begebenheiten mit Männern, die ein wenig an dem magischen Monster Liebe zu kratzen wagen, es aber dann doch nicht schaffen, mit der Erzählerin eine zufriedenstellende Beziehung auf die Beine zu stellen.

Ein Roman über die Liebe ist dazu da, die Lesenden glücklich zu machen, nicht die Heldin. Und dieses Lese-Glück tritt ein
  a) als Liebesgeschichte,
  b) als ironische Selbstreflexion,
  c) als angewandte Weltliteratur vom Schlage einer Jane Austen (1775-1817).

Lina Hofstädter, Trauerbüchlein

h.schoenauer - 07.01.2025

lina hofstädter, trauerbüchleinDas Jahr ist um, die Trauer bleibt. – Zwischen der lakonischen Brisanz eines Oswald von Wolkenstein, wenn dieser seinem abgeernteten Leben als verlöschender Ritter zuschaut, und der hartnäckigen Melancholie, wie sie der Blues den Jahreszeiten der Natur abringt, bewegen sich die Gedichte des Trauerbüchleins.

Lina Hofstädter stiftet fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers Kassian Erhart sich selbst und anderen, die einen Verlust zu beklagen haben, Trost und Impuls-Pflaster für jene Verwundungen, die jäh aufbrechen, etwa beim Anblick eines Vogels, der sich ins Sichtfeld geschlichen hat. „Todestag 1 // Heute am Morgen lag da / Der kleine Vogel / Mit roter Brust / Zu Mittag lagst du / Jetzt liege ich / Und warte / Warte …“ (7)

Hannes Hofinger, Die Leiche in der Löwengrube in St. Johann in Tirol

h.schoenauer - 01.01.2025

hannes hofinger, die leiche in der löwengrubeKrimi ist als Genre und Gesellschaftstreiben die am häufigsten verwendete Kategorie, um sich  purem Vergnügen oder Verbrechen hinzugeben. – Die literarische Sorte Krimi spendet unter Garantie einen Roman mit Handlung, der wegen seiner klugen Gliederung ein ständiges Absetzen und Wiederaufnehmen von Lektüre ermöglicht.

Da die meisten Krimis heutzutage mit KI geschrieben sind, wird es nicht mehr lange dauern, bis auch die Leser eine KI verwenden, um möglichst viele Krimis ohne Aufwand zu bewältigen.
Hannes Hofingers Krimi von „Der Leiche in der Löwengrube“ wird von zwei Zugängen gespeist:
  a) das Genre Krimi wird an die Grenze der Groteske und süffisanten Überschätzung geführt,
  b) das Treiben der Gemeinde wird als Hotspot krimineller Machenschaften gezeigt, die als Tagesgeschäft getarnt sind.

Margit Weiß, Maddalena geht

h.schoenauer - 27.12.2024

margit weiss, maddalena gehtJeder Auftritt kann das Ende oder den Anfang bedeuten. – Jenseits aller Geschichtsschreibung sind es die Hebammen, die in einem Tal das Leben auf die Welt bringen oder den Tod dokumentieren.

Margit Weiß erzählt am Beispiel der historisch abgesicherten Biographie der Hebamme Maddalena Decassian, wie um 1900 ladinische Täler eher einer Sagenwelt verpflichtet sind als einer aufgeklärten Notwendigkeit, die Wahrheit auch einmal in Echtzeit auszusprechen.

Zu Beginn rast gleichsam die Hebamme von einer Geburt zur nächsten, meist geht alles zumindest biologisch gut, manchmal gilt es auch, ein totes Kind zu vermelden getreu einer alten Hebammenweisheit: „Du musst aufhören, den Tod und das Leiden zu bekämpfen. Sie sind stärker als du.“ (245)

Martin Kolozs, Kreuzwege

h.schoenauer - 09.12.2024

martin kolozs, kreuzwegeAlle Menschen unterliegen biographischen Kreuzwegen, wenn sich eigene Lebenslinien mit solchen anderer Zeitgenossen kreuzen. Im religiösen Ambiente versteht man unter Kreuzweg eine leidende Auslegung des Schicksals, im strengen katholischen Ritual hat sich daraus das Genre des Kreuzwegs herausgebildet, dabei werden in vierzehn Episoden die Leidensstationen Christi auf seinem Weg hin zur Kreuzigung nachempfunden und nachgebetet.

Martin Kolozs greift in seiner Auftragsbiographie „Kreuzwege“ zur Dramaturgie dieses Genres, indem er das Schicksal der Tiroler Jesuiten Johann Schwingshackl und Johann Steinmayr miteinander verschränkt und sie anschließend durch die politische Zeit des Nationalsozialismus begleitet, dem sie schließlich zum Opfer fallen: Beide werden hingerichtet.

Andreas Niedermann, Alte Schule - Blumberg 3

h.schoenauer - 05.07.2024

andreas niedermann, alte schuleDer Dichter ist in die Berge abgehauen und gilt als verschollen, das Publikum ist ungeduldig, es hat zwei Bücher über schwere Helden-Entgleisung gelesen und will wissen, wie die Geschichte zu Ende geht. Die Heldin „Blumberg 3“ sitzt in der Psychiatrie und und bietet in hellen Momenten an, ihr kriminelles Leben fertig zu erzählen. – Eine ideale Ausgangsposition für einen Roman, als ein Verleger den erlösenden Schreibauftrag vergibt, um endlich alle von der Last der nicht-erzählten Geschichte zu erlösen.

Andreas Niedermann lässt das Konzept für seinen „Roman noir“ knapp durchschimmern als eingedampfte Literaturtheorie: „Bücher entstehen aus Büchern, Leben und Lügen.“ (86)

Christian Kössler, Schatten über dem Inn

h.schoenauer - 26.06.2024

christian kössler, schatten über dem innWer eine Stadt wirklich erkunden will, muss hinter die Fassaden der Häuserzeilen blicken. Während das Navi gute Dienste leistet beim Abschreiten der Objekte, braucht es für die Geister, die dahinter stecken, meist ein Archiv, worin die historischen Seelen gespeichert sind. Die Aufgabe eines Seelen-Erweckers besteht darin, die einzelnen Quellen ausfindig zu machen und ihnen den Stöpsel zu ziehen, um die flüchtigen Gespenster in die Gegenwart zu entlassen.

Christian Kössler hat als Bibliothekar einen sechsten Sinn für makabre, gruselige und hintersinnige Geschichten entwickelt. In regelmäßigen Abständen schreitet er diverse Archivregale ab, nimmt Sagenbücher und Quellen-Schwarten aus dem Regal und zieht den Büchern den Stöpsel. Dadurch entlässt er eingesperrte Geister und tritt mit ihnen anschließend vor einem fröhlichen Publikum auf.